Zucht

Fohlen aus dem Reagenzglas - eine ethisch vertretbare Methode?

Ein Artikel von Lisa Wallner | 15.05.2024 - 12:07
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Symbolfoto © www.slawik.com

Die OPU-ICSI-Technologie an sich ist nichts Neues: Seit vielen Jahren wird sie angewandt, beim Pferd brachte sie nach in der züchterischen Praxis erfolglosen Versuchen der In-vitro-Befruchtung (IVF) vor rund zehn Jahren den Durchbruch in Sachen assistierte Reproduktion. Nun hat sich der schwedische Warmblutzuchtverband dazu entschlossen, die mittels OPU-ICSI-Technologie entstandenen Fohlen nicht mehr beim SWB zu registrieren. Dies geschehe vor allem im Hinblick auf das schwedische Tierschutzgesetz, der Eingriff ist in Schweden generell verboten.

Doch wie funktioniert diese umstrittene Technik überhaupt und ist sie ethisch vertretbar? Wir haben dazu Prof. Dr. Christine Aurich, Leiterin des Klinischen Zentrums für Reproduktion an der Vetmeduni Wien, befragt.

Frau Dr. Aurich, wie funktioniert die ISCI-Methode?

Ein wichtiger Schritt für eine wirtschaftliche Verwendung von ICSI in der Pferdezucht war die erfolgreiche Gewinnung von Eizellen mittels ultraschallgestützter Follikelpunktion. Hierfür wird eine spezielle Ultraschallsonde in die Scheide der Stute eingeführt, die einen Arbeitskanal mit einer langen Nadel enthält. Mit dieser Nadel werden unter Ultraschallkontrolle durch die Scheidenwand Follikel auf den Ovarien der Stute angestochen („punktiert“). Die Ovarien werden dabei vom Tierarzt vom Mastdarm der Stute aus fixiert. Damit die Stuten diesen Eingriff tolerieren, werden sie tief sediert und erhalten meist auch eine epidurale Anästhesie. Aus den punktierten Follikeln werden mittels einer speziellen Spültechnik die Eizellen (Oozyten) abgesaugt („ovum pick up“ = OPU), unter einem Mikroskop aufgesucht, klassifiziert und die dafür geeigneten Oozyten einer In-vitro-Reifung (Maturation) unterzogen. Pro Stute und OPU-Sitzung können meist zahlreiche Eizellen auf einmal gewonnen werden. Nach erfolgter Reifung geschieht die Spermieninjektion und die weitere In-vitro-Kultur. Nach etwa einer Woche bis maximal neun Tagen werden die Embryonen beurteilt und, wenn sie übertragungsfähig sind, aus der Kultur entnommen. In Speziallabors werden die Eizellmaturation, Spermieninjektion, In-vitro- Kultur der Embryonen und deren Tiefgefrierung durchgeführt. Der Transfer der Embryonen erfolgt dann entweder im Züchterstall oder in spezialisierten Embryotransfereinrichtungen.

Ist diese Technologie wirtschaftlich wirklich derart interessant für die Zucht?

Mit diesem Wissens- und Entwicklungsstand war vor etwa zehn Jahren einer kommerziellen Verwendung der OPU-ICSI- Technologie auch in der europäischen Sportpferdezucht Tür und Tor geöffnet. Es entwickelte sich vor allem mit dem Ziel der Produktion von Embryonen aus Sportstuten unter Verwendung hocherfolgreicher Sporthengste ein regelrechter Hype. Mittlerweile wird von erfolgreichen ICSI-Labors durchschnittlich sogar mehr als ein transfertauglicher Embryo pro OPU-Sitzung gewonnen. Die Abfohlraten nach dem Transfer dieser Embryonen liegen bei über 50 %. Damit liegt die Gesamteffizienz deutlich über der des konventionellen Embryonentransfers (ET).

Worin liegen die großen Vorteile – etwa gegenüber dem konventionellen Embryotransfer?

Anders als Embryonen aus dem konventionellen Embryotransfer können ICSI-Embryonen sehr erfolgreich tiefgefroren (kryokonserviert) und in flüssigem Stickstoff bis zum Transfer auf eine geeignete Empfängerstute aufbewahrt werden. Dies ist ein großer Vorteil, so wie auch die Tatsache, dass beim ICSI bevorzugt Tiefgefriersamen Verwendung findet. Die ICSI-Technologie bekam noch weiteren Aufwind, als sich herausstellte, dass die gewonnenen Eizellen vor ihrer In-vitro-Reifung über Nacht transportiert werden können, ohne ihre Entwicklungskompetenz zu verlieren. Dies ermöglichte es, die Eizellgewinnung mittels OPU an verschiedenen dafür ausgestatteten Zentren in Europa durchzuführen, um die Eizellen dann zu wenigen hochspezialisierten ICSI-Labors zu versenden. Außerdem kann OPU-ICSI das ganze Jahr über durchgeführt werden, und es entfällt die beim konventionellen ET oft so aufwändige Synchronisation der Empfängerstuten.

Ist die kommerzielle Nutzung von OPU-ICSI in der Pferdezucht ethisch vertretbar?

Während es sich beim konventionellen ET um eine durchwegs nicht-invasive Methode handelt, die bei Stuten kaum unerwünschte Nebenwirkungen auslösen kann, sieht das bei der Eizellgewinnung mittels OPU ganz anders aus: Der Eingriff ist invasiv, denn die Bauchhöhle der Stute wird bei der Eizellgewinnung mit der Nadel, die von der Scheide in die Follikel der Eierstöcke eingebracht wird, wiederholt perforiert. Das ist genauso wie die erforderliche Manipulation der Eierstöcke vom Mastdarm aus schmerzhaft, führt zu zahlreichen kleinen Traumata und ist mit dem Risiko einer Infektion der Bauchhöhle (Peritonitis) verbunden. Um Risiken zu minimieren, werden die Stuten daher tief sediert. Außerdem erfolgt meist eine Nachbehandlung mit Schmerzmitteln und Antibiotika. Es muss auch beachtet werden, dass nicht jede OPU-ISCI-Sitzung erfolgreich ist, bei so mancher Stute funktioniert der Eingriff nicht wie gewünscht. Es treten darum zunehmend Bedenken auf, ob – unabhängig von der Beeinträchtigung des Tierwohls – eine derartige „Ausbeutung“ von Tieren für kommerzielle Zwecke ethisch vertretbar ist.

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Moderne Technologien machen auch vor der Reproduktion nicht Halt. © ARTPhoto | stock.adobe.com

Entwicklung der In-vitro-Produktion von Pferdeembryonen

Bereits 1990 wurde das erste mittels In-vitro-Befruchtung (IVF) erzeugte Fohlen geboren. Die Technologie hatte experimentell zwar funktioniert, aber dieser Erfolg war zunächst nicht wiederholbar, und eine Umsetzung in die züchterische Praxis blieb für viele Jahre Zukunftsmusik. Das Hauptproblem bestand darin, Samenzellen unter In-vitro-Bedingungen zur „Kapazitation“ zu stimulieren. Diese abschließende Reifung der Spermien ist aber erforderlich, damit sie aus eigener Kraft eine Eizelle befruchten können. Einige Jahre später gelang es dann, diesen Schritt zu umgehen, da das Verfahren der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) entwickelt wurde. Bei dieser Technik wird eine einzelne Samenzelle unter dem Mikroskop mit Hilfe eines sogenannten Micromanipulators in eine vorher gereifte Eizelle injiziert, das selbständige Eindringen der Samenzelle in die Eizelle ist also nicht notwendig. Der Kern der Samenzelle kann dann mit dem Zellkern der Eizelle verschmelzen – eine sogenannte Zygote entsteht, die sich in vitro bis zu einem übertragungsfähigen Embryo entwickelt. Das erste so erzeugte Fohlen wurde 1996 im Pferde-Reproduktionslabor der Colorado State University in Fort Collins, USA, geboren.

Prof. Dr. Christine Aurich