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Haben einen wichtigen Part im Orchester der Hilfen: die Schenkelhilfen © Farmer - Fotolia.com

Das ABC der Schenkelhilfen

Ein Artikel von Pamela Sladky | 10.08.2015 - 00:45
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Haben einen wichtigen Part im Orchester der Hilfen: die Schenkelhilfen © Farmer - Fotolia.com

Reiten ist Bewegung – das Vorwärts ein wichtiger Faktor zur Gesunderhaltung des Pferdes. Die treibenden Hilfen spielen dabei eine zentrale Rolle. Ohne sie geht nichts. Der Motor des Pferdes befindet sich in dessen Hinterhand, und die Aufgabe des Reiterschenkels besteht darin, diese Kraft zu wecken und zu unterstützen. Natürlich darf keine Hilfe isoliert betrachtet werden, nur im Zusammenspiel der Zügel-, Gewichts- und Schenkelhilfen liegt der Schlüssel zum harmonischen Reiten. Nichtsdestotrotz muss der verantwortungsvolle Reiter über jede einzelne Hilfe Bescheid wissen und diese dem Pferd auch sinnvoll vermitteln können.

Grundsätzlich unterscheidet man die Schenkelhilfe in Gurthöhe und hinter dem Gurt. Durch seine Lage und die Art der Einwirkung übernimmt der Schenkel verschiedene Aufgaben: Er kann vorwärtstreibend, seitwärtstreibend, verwahrend oder biegend und versammelnd wirken. Die Lage der Schenkel ergibt sich aus einem geschmeidigen Sitz, die Oberschenkel des Reiters liegen flach am Sattel, der Unterschenkel mit tiefem Absatz befindet sich mit dem Pferdebauch in ständiger Fühlung. Durch diese Haltung spannt sich automatisch die Wade etwas an, was ein sensibles Pferd schon als treibende Hilfe empfinden kann.

Das Zurücklegen des Schenkels geschieht aus der Hüfte des Reiters. Der zurückgelegte Unterschenkel sollte etwa eine Handbreit hinter dem Gurt zum Liegen kommen.

Richtig Treiben will gelernt sein

Die geschmeidig anliegende Wade des Reiters muss die Hinterbeine des Pferdes „erfühlen“. Der Schenkel kann nur auf das abfußende und dadurch vorschwingende Hinterbein einwirken, muss also in dem Moment eingesetzt werden, wenn die Hüfte des Pferdes nach unten kommt. Die natürliche Pendelbewegung des Pferderumpfes erleichtert diese Aufgabe, indem sie den Impuls vorgibt: Im Schritt „fällt“ der Schenkel des Reiters jeweils links und rechts an den Pferdebauch. Das Reiterbein kann diese Bewegung durch knappe Impulse unterstützen und so das entsprechende Hinterbein zum weiteren Vortreten anregen. Aber auch hier gilt: Will man sein Pferd fein und sensibel auf die Hilfe erhalten, darf man nur einwirken, wenn es zu verhalten und zu faul ist. Die Schenkelhilfe muss immer bewusst eingesetzt werden und darf nicht in eine andauernde „Belästigung“ des Pferdes ausarten.

Konsequenter weise müsste man auch im Trab wechselseitig treiben, doch hier klaffen Theorie und Praxis auseinander. Der Trab ist eine sehr schwungvolle Gangart. Sie bringt es micht sich, dass „Erfühlen“ der Hinterbeine mit deutlich größeren Schwierigkeiten verbunden ist als im ruhigeren Schritt.

Vorsicht vor Dauertreiben: Um eine fleißigere Vorwärtsbewegung zu erreichen, dürfen die Schenkel im Trab nicht andauernd mit gleicher Intensität eingesetzt werden. Wer ständig mit dem Bein an den Pferdeleib klopft, erspart sich möglicherweise zwar das Fitnesscenter, stumpft sein Pferd auf Dauer aber gegenüber der Hilfe ab. Stattdessen sollten die Schenkel impulsartig wiederholt oder mit kurzzeitiger Druckverstärkung wirken. Bei Erreichen des gewünschten Vortrittes der Hinterbeine beschränkt sich das Reiterbein auf ein passives mit dem Pferdekörper „mitatmen“. Nur so kann das Pferd dauerhaft sensibel auf die Schenkelhilfen bleiben.

Im Galopp holt sich das Pferd den Impuls vom inneren, treibenden Schenkel meist selbst ab, denn im Vorspringen des inneren Hinterbeins kommt der Bauch des Pferdes dem Reiterschenkel ein kleinwenig entgegen.

Feinabstimmung

Die Schenkelhilfe muss für das Pferd immer verständlich und klar sein. Das Verständnis für die richtige Reaktion auf eine Hilfe muss allerdings erst konditioniert werden, denn wie es auf einen vorwärts-, seitwärtstreibenden, verwahrenden oder versammelnden Schenkel zu reagieren hat, ist dem Pferd nicht mit in die Wiege gelegt.

Wie bei allen Hilfen gilt auch hier der Grund-satz: Die Schenkelhilfe sollte im Laufe der Ausbildung immer feiner werden. Dies ist eine Folge der Konditionierung und der Konsequenz des Reiters. Um die feinen Nuancen der Schenkelhilfen einsetzen zu können, bedarf es eines sehr wachsamen und sensiblen Reiterbeines. Und dafür ist weit mehr als die Beherrschung der einfachen Mechanik nötig, um nicht im andauernden und kräfteraubenden Vo rwärtstreiben zu enden. Vielmehr müssen ein guter Sitz, das Zusammenspiel der Hilfen und sehr viel Gefühl physische Anstrengungen ersetzen. So wird jedes Pferd durch den spar- samen, aber konsequenten Einsatz des Schenkels wieder sensibel auf die vorwärts- treibenden Hilfen ansprechen.

Reagiert das Pferd z. B. durch gleichseitigen Druck der Waden in Gurthöhe nicht mit einer Vorwärtsbewegung, muss man den Grad der Hilfengebung verstärken, und zwar so viel, bis das Pferd der Hilfe Folge leistet. In letzter Konsequenz unterstützt die Gerte den Schenkel, um die gewünschte Reaktion des Pferdes hervorzurufen. Sobald dies geschehen ist, verbleibt der Reiterschenkel passiv in seiner vorgesehenen Position am Pferdebauch. Beim nächsten Antreten werden die meisten Pferde schon besser reagieren, und die Gerte ist nur noch in seltenen Fällen vonnöten. Durch konsequente Übung wird so fast jedes Pferd früher oder später auf eine feine Schenkelhilfe antreten. Tipp: Die Stelle zum Einsatz der Gerte sollte knapp hinter dem Schenkel am Pferde- bauch sein. Touchiert man die Kruppe, reagiert das Pferd meist mit einem Hüpfer der Hinterhand, was dem Vorwärtsreiten nicht entgegenkommt.

Schenkelhilfen auf einen Blick

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Schenkel in Normallage (blau) und zurückgelegter Schenkel (oliv). © Pamela Sladky

Für jede Variante der Schenkelhilfen gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Die Intensität muss sich nach dem Temperament, der Rittigkeit und dem Gehorsam des jeweiligen Pferdes richten. Grundvoraussetzung für eine korrekt gegebene Schenkelhilfe ist ein geschmeidiger, den Bewegungen des Pferderückens folgender Sitz, ein dynamisches Becken und das Zusammenspiel mit den anderen Hilfen.

Vorwärts. Die beidseitig vorwärtstreibenden Schenkel befinden sich in Gurthöhe. Durch ihre Einwirkung regen sie die Hinterbeine des Pferdes an, fleißiger zu treten oder anzutreten. Die Intensität der Hilfe richtet sich nach der Reaktion des Pferdes, muss aber in dem Moment aufhören, wenn das Pferd dieser Hilfe Folge leistet. Ein stetig klopfender Schenkel stumpft ab und nimmt dem Pferd den Vorwärtsdrang.

Biegung. Der einseitig vorwärtstreibende Schenkel befindet sich ebenfalls in Gurthöhe und unterstützt die Zügel- und Gewichtshilfen des Reiters, um die Biegung des Pferdes auf gebogenen Linien und in den Seitengängen zu erhalten. Diese Hilfe erfolgt immer mit der inneren Wade, wirkt auf den gleichseitigen Hinterfuß des Pferdes und veranlasst das Hinterbein, unter den Schwerpunkt zu treten. Wenn es die anderen Hilfen zulassen, wirkt diese Schenkelhilfe also biegend. Im Laufe der Ausbildung wird sich das Pferd allein auf die Hüftstellung des Reiters in eine korrekte Biegung begeben, was die Seitengänge immens erleichtert.

Verwahrend. Der verwahrende Schenkel wirkt an der äußeren Seite des Pferdes hinter dem Gurt und hindert die Hinterhand am „Ausfallen“. Auf gebogenen Linien „wacht “ der äußere Schenkel über die Kruppe – passiv, aber immer zum Einsatz bereit.

Seitwärts. Der seitwärtstreibende Schenkel ist unumgänglich für die Seitengänge. Das fortgeschrittene Pferd lernt, dem hinter dem Gurt liegenden Schenkel zu weichen. In Verbindung mit dem in Gurthöhe liegenden vorwärtstreibenden Schenkel wird das Pferd zu einer Vorwärts-Seitwärts-Bewegungen veranlasst, welche zu Travers, Renvers und Traversalen führt. In den meisten Fällen ist der seitwärtstreibende Schenkel der äußere, die Ausnahmen bilden die Vorhandwendung und das Schenkelweichen, die schon früh in der Ausbildung vom Pferd verlangt werden können.

Versammelnd. Die versammelnde Schenkelhilfe lässt das Becken des Pferdes abkippen, die Hankenbiegung bewirkt, dass die Tritte des Pferdes eher aufwärts als vorwärts wirken. Die beidseitig hinter dem Gurt befindlichen Schenkel fordern das Pferd wechselseitig zu energischen Abfußen auf. Der Schenkel „belebt“ die Hinterhand, und mit der Unterstützung durch die anderen Hilfen beginnt sich das ausgebildete Pferd zu versammeln.

Sporen müssen erst verdient werden

Sporen gehören für viele Reiter zur Grundausrüstung. Tatsächlich dürfen diese Hilfsmittel allerdings erst in der späteren Ausbildung des Pferdes zur Unterstützung des Schenkels eingesetzt werden. Der Sporn kann eine wertvolle Hilfe sein, mit Bedacht gebraucht, lässt er eine sehr präzise Hilfengebung in den Seitengängen und in der versammelnden Arbeit zu.

Zu intensiver Sporeneinsatz ist in jeden Fall zu vermeiden, denn leicht wird die Grenze zwischen Hilfe und Strafe überschritten. Ein Pferd, das auch auf den Sporn nicht mehr reagiert, macht eine harmonische und feine Dressurarbeit nahezu unmöglich. Schlichtweg nichts verloren haben Sporen bei Reitern, die noch nicht in der Lage sind, auf dem Pferd einen unabhängigen Sitz zu behalten. Unruhige Reiterschenkel und ungewollter Sporeneinsatz verwirren das Pferd und machen die Hilfe auf Dauer nutzlos - im schlechtesten Fall bereitet sie dem Pferd sogar Schmerzen.

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Mit dem Sporn wird die Grenze zwischen Hilfe und Strafe leicht überschritten. © lichtreflexe - fotolia.com

Mit den Schenkeln kann der Reiter das Tempo, den Fleiß, den Rhythmus, die Biegung und die Kadenz des Pferdes bestimmen und kontrollieren – viele Aufgaben, die jedem Reiter bewusst werden lassen sollten, wie wichtig die Schenkelhilfe ist. Es lohnt sich somit in jedem Falle, dem Pferd die „Schule der Schenkelhilfen“ gewissen- haft und konsequent beizubringen – der Dank ist ein leicht und willig vorwärtsgehendes Pferd.