Spielend lernen

Lass uns spielen!

Ein Artikel von Eva Schweiger | 30.07.2025 - 10:26

Spielerisch zu trainieren bedeutet, Pferde mit Freude, Leichtigkeit und Fairness auszubilden. Manchmal ist das richtig viel verlangt – denn die Tradition unserer Reiterei, ob militärisch oder aus einer Arbeitsreitweise entstanden, hat mit Spielen nicht viel am Hut. Und auch im Alltag jenseits des Reitstalls haben wir allzu oft mehr Ernst als Spiel im Kopf. Um Pferdetraining spielerisch zu gestalten, fehlen oft schlichtweg der eigene Zugang oder die Ideen. Dabei bräuchten wir uns nur an die Pferde zu halten. Für Sie ist das Training mit uns nämlich vor allen Dingen ein Spiel – wenn wir es zulassen.

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Lernen soll Spaßt machen und dem Pferd leicht fallen. © www.slawik.com

Reiten: eine ernste Sache?

Vielleicht ist dieser Gedanke ganz neu für Sie: Ernst ist das Training mit Ihnen für Ihr Pferd von vorne herein nicht. Vorausgesetzt es hat keine schlechten Erfahrungen gemacht und geht angstfrei und grundsätzlich offen mit Ihnen um. Regt sich da beim Lesen dieser Zeilen schon ein leises „Moment mal“? Ihr Pferd soll Sie doch bitte durchaus ernstnehmen. Sie versuchen also, ihm den Ernst des Trainings zu vermitteln: „Jetzt sage ich, wo’s lang geht“, „Reiß’ dich zusammen, das ist doch nicht so schwer“, „Komm’ schon, wir haben wirklich keine Zeit für diese Spielereien“ – solche Sätze haben wir alle schon an unsere Pferde gerichtet. Aber warum eigentlich? Weil wir doch ein Ziel vor Augen haben, und das erreicht man nur mit Disziplin, Fokus und harter Arbeit.

So haben wir es gelernt, und zwar gerade in unserer Reiterei, hinter der traditionell eine sehr ernsthafte Einstellung steckt. Um Spielerei und Fröhlichkeit ging es da in der Geschichte selten, eher ums Überleben am Schlachtfeld, um Jagderfolge, um das Erarbeiten des täglichen Brots oder zumindest um gesellschaftliches Ansehen. Optimales Funktionieren, punktgenaue und präzise Leistung bis hin zu Perfektion in der Klassischen Reitkunst waren stets die erklärten Ziele. Und daraus soll jetzt plötzlich Spiel entstehen? Gar keine leichte Aufgabe.

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Auch das Verladetraining lässt sich spielerisch gestalten. © www.slawik.com

Spiel und Ziel – verträgt sich das? 

Stellen wir uns vor, Sie wünschten sich, mit Ihrem Pferd im kommenden Sommer einen Orientierungsritt mitzumachen. Um den zu meistern, müssen Sie beide noch einiges lernen. Ihr Pferd lässt sich noch nicht problemlos verladen, Sie sind nicht besonders gut im Kartenlesen, gemeinsam kommen Sie im Gelände ab und an in Situationen, die Sie überfordern, zum Beispiel im Straßenverkehr. Der Orientierungsritt, den Sie sich ausgesucht haben, findet in wenigen Monaten statt – bis dahin sollten diese Problemchen also aus der Welt sein. Sie spüren schon: Hier ergibt sich ein gewisser Zeitdruck. Wie würden Sie darauf reagieren? Wahrscheinlich entweder „volle Kraft voraus“, wenn Sie zum Typ „Anpacker“ gehören, oder mit Verzögerungstaktik und Verdrängung, wenn Sie von der ängstlicheren oder unsichereren Sorte Pferdemensch sind.

In beiden Fällen werden Sie Ihrem Pferd im Training letztlich Druck machen – entweder sofort, denn es muss ja noch viel geschafft werden, oder später, denn dann haben Sie plötzlich nur mehr richtig wenig Zeit. Ihr Pferd wird die Aufregung nicht verstehen. Erstens, weil es in einer gewissermaßen zeitlosen Welt lebt: Es hat keinen Begriff davon, wie viel Zeit noch bleibt, bis etwas geschafft sein muss. Und zweitens, weil es das Wörtchen „muss“ in diesem Zusammenhang nicht versteht: Es geht ja schließlich wirklich nicht um Leben und Tod. Hier haben wir also zwei Schlagworte entdeckt, die über das Spielerische im Training entscheiden: Zeit und Muss. Unendlich viel Zeit und kein Müssen, ist das also das Ideal? Auch nicht ganz. Die dritte häufige Sorte Pferdemensch ist nämlich die, die nie ein Ziel erreicht, oder von vorne herein gar keines hat, weil sie jeden Druck im Training der Pferde ablehnt. Aber auch das ist kein unlösbares Problem. 

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Pausen müssen sein: Gerade beim Spielen sind kurze Ruhephasen essenziell, sonst geht der Spaß verloren. © www.slawik.com

Spielregeln 

Jedes Spiel braucht Regeln. So wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht, beim Schnapsen oder bei einem Rollenspiel müssen bei sämtlichen Spielen die möglichen Handlungen im Spiel und die Grenzen der spielerischen Freiheit festgelegt sein. Das gilt auch unter Pferden: Jedes Tier weiß (oder lernt), wie weit es im Spiel gehen kann, bevor dieses in Ernst umschlägt. Innerhalb der Grenzen des Spiels sind hingegen Kreativität und persönlicher Ausdruck gefragt. Spielen macht Freude, weil man einander dabei kennenlernt, einander Zeit schenkt und gemeinsam Neues ausprobiert. Bei unseren menschlichen Spielen können da z. B. noch strategisches Denken und vorausschauende Planung hinzukommen, wir können die Richtung eines Spiels bewusst lenken. Im Spiel mit unseren Pferden können wir das einsetzen, und zwar, um Ziele mit unseren Pferden zu erreichen. Das Pferd ist dabei natürlich nicht Gegner, sondern Teil des eigenen Teams: Wir spielen zusammen. 

Zurück zum obigen Beispiel: Mein Pferd soll nun also lernen, angstfrei in den Anhänger zu steigen. Mein Ziel ist damit klar, die Spielregeln setze ich ebenfalls fest: Wir trainieren in Ruhe und Konzentration, wir gehen (wie immer) respektvoll miteinander um (kein Zerren am Halfter, kein Zwang in Form von Gerte, Longe um die Hinterhand etc., keine Kraftausdrücke gegenüber dem Pferd, aber auch kein Zerren am Strick von Seiten des Pferdes, kein Kopfstoßen, Schnappen etc.). Die zeitliche Begrenzung des Spiels wird sich hier wahrscheinlich erst herauskristallisieren: Beobachten wir unsere Pferde genau, erkennen wir, wann ihre Konzentration erschöpft ist, wann sie die Lust am Spiel verlieren, wann etwas anderes ihre Aufmerksamkeit verlangt.

Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Jedes Ausweichen oder Verweigern des Pferdes ist ernst zu nehmen und zu respektieren, aber manchmal braucht ein unsicheres Pferd auch einen kleinen Schubs in die richtige Richtung, ein kleines „Komm’, du schaffst das, gib’ dir einen Ruck“. Das kann ein aufmunterndes oder fokussierendes Stimmkommando sein oder auch einmal ein Leckerli als Motivationshilfe. Wichtig: All das muss im Rahmen des Spiels bleiben. Wann dieser überschritten ist, spüren wir deutlich, wenn wir unseren Sinn dafür schulen. Plötzlich fühlt sich die Situation „eng“ an, das Ziel bekommt übermäßig viel Bedeutung („Einmal muss er jetzt noch in den Hänger!“), wir werden ungeduldig, hektisch oder auch ungehalten und wütend. Dann heißt es: Pausieren oder abbrechen, wieder Leichtigkeit und Bewegung in die Situation bringen. Ihr Pferd wird diese vielleicht sogar bereits einfordern, indem es umhertrippelt, wegzieht, die Konzentration auf die Aufgabe verliert oder einfach abschaltet. 

Wissen

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Beim Spielen wird u. a. auch das ­Gehirn trainiert.  © www.slawik.com

Spiel – was ist das eigentlich?

Laut Dorschs Lexikon der Psychologie ist Spiel eine Aktivität, die ohne Zwang und Zweck um ihrer selbst Willen ausgeübt wird. Im Laufe der Wissenschaftsgeschichte haben sich eine Menge kluger Köpfe mit dem Konzept Spiel auseinandergesetzt und verschiedene Aspekte davon abgegrenzt. Es geht beim Spielen, grob zusammengefasst, um den Abbau von Energieüberschuss, ums Lernen, die Entdeckung der Welt, um Soziales, Kommunikation und Kognition bis hin zu tiefenpsychologischen Prozessen wie Katharsis und Projektion. Was wohl allen Spielen gemeinsam ist: Sie machen Freude, denn sie ermöglichen es den Spielenden, sich in einer (durch klare Spielregeln) sicheren Umgebung auszuprobieren, ohne dabei einen Zweck erfüllen zu müssen. Spielen vermittelt also pure Leichtigkeit!

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Jedes Spiel zwischen Pferd und Mensch ist individuell, und jedes Paar entdeckt eigene Vorlieben und Talente. © privat

Das unendliche Spiel

Simon Sinek, US-amerikanischer Unternehmensberater und Bestseller-Autor, stellte in seinem 2019 erschienen Buch „The Infinite Game“ folgende These auf: Es gibt zwei Arten von Spielen, endliche und unendliche. Erstere haben fixe Regeln und ein klares Ziel – das Spiel für sich zu entscheiden, zu gewinnen. Hier könnte man spielerisches Training mit einem klaren Trainingsziel einordnen: Der Spielverlauf ist offen, aber am Ende macht Ihr Pferd, was Sie von ihm wollen. Für die Dinge, die Pferde unbedingt können müssen – in den Anhänger steigen, beim Hufschmied ruhig stehen, die Tierärztin akzeptieren, sich sicher führen lassen, etc. – bietet sich dieser Zugang an. 

Unendliche Spiele funktionieren anders, nämlich ohne fixes Regelwerk, ohne vorher festgelegten Endpunkt. In ihnen geht es vor allen Dingen nicht ums Gewinnen. Ein Beispiel für so ein unendliches Spiel? Das Leben! Oder: „Offenes“ Pferdetraining. Leben ist Veränderung, wie wir wissen, und das gilt auch für die Zusammenarbeit mit unseren Tieren. Statt ein fixes Ziel vorzugeben, das im Training erreicht werden soll, versuchen Sie doch, sich auf ein unendliches Spiel einzulassen: Was passiert heute, woran werden wir gemeinsam arbeiten? Was bietet Ihr Pferd Ihnen an? Erweitern Sie den Raum des Möglichen und lassen Sie Ihr Pferd mitbestimmen. Selbst wenn wir bewusst Abwechslung ins Training bringen, bleiben wir oft innerhalb starrer Rahmen: Darf es heute Dressur, ein Ausritt oder Longieren sein? Wie wäre es, noch weiter zu gehen, und das Training sich noch freier entwickeln zu lassen? Im Kasten oben finden Sie ein Beispiel, wie so ein offenes, spielerisches Training aussehen kann.

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Viele Optionen und immer neue Wege: Das macht spielerisches Training aus. © www.slawik.com

Mutig spielt es sich am besten

Wenn wir Pferdetraining auf spielerischen Prinzipien aufbauen, kann sehr vieles passieren. Vielleicht entdecken wir ungeahnte Fähigkeiten in unseren Partnern und unerwartete Talente. Vielleicht glänzt der Friese plötzlich im Springen oder der Hannoveraner beim Wanderreiten. Es kann in einem unendlichen Spiel – leider oder zum Glück – genauso passieren, dass Sie sich von Ihren Vorstellungen verabschieden müssen. Wollten Sie mit Ihrem jungen Warmblut Dressurerfolge einfahren? Möglicherweise zeigt es Ihnen, wenn Sie es lassen, dass es lieber mit Kindern arbeitet und ein wunderbares Lehr- und Therapiepferd wäre. Oder es verlangt nach Gymnastikball und Reifen und möchte Zirkustricks lernen. Oder es liebt Herausforderungen und begeistert sich für Working-Equitation-Trails.

Training spielerisch anzugehen, erfordert Mut – soviel ist sicher. Das Schönste daran ist: Es warten im Laufe des Spiels Erlebnisse, Erfahrungen und Glücksmomente, die Sie niemals hätten planen können.