Was steckt dahinter, wenn jemand Reiten pauschal als Tierquälerei bezeichnet? Warum werden reitende junge Männer belächelt? Und wieso gelten Reiter:innen eigentlich vielen Laien als Snobs und reiche Schnösel? Was tatsächlich hinter solchen Vorurteilen steckt, warum sie uns manchmal gar so tief treffen und was am besten gegen sie hilft, hat uns Mag. Heidemarie Paul, pferdegestützte Kommunikationstrainerin und psychosoziale Beraterin, verraten.
Frau Mag. Paul, warum haben Menschen überhaupt Vorurteile?
Da gibt es verschiedene Theorien. Vorurteile können aus Neid, Unwissenheit, Angst oder Unsicherheit entstehen, oder auch aus dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Menschen machen Erfahrungen und bilden sich immer Vorurteile, das wird man nie komplett ausräumen können. Es hat auch viel mit dem Horizont einer Person zu tun, mit wie vielen verschiedenen Menschen, Denkweisen, Lebensrealitäten jemand in Kontakt kommt und wie aufgeklärt man ist.
Das heißt, Vorurteile haben sehr wenig mit der verurteilten Person zu tun.
Absolut. Vorurteile stehen oft in einem sehr geringen Verhältnis zum Opfer und sind vielmehr das Ergebnis gesellschaftlicher, kultureller und psychologischer Faktoren. Es ist hilfreich, sich immer wieder vor Augen zu halten: Vorurteile beziehen sich vielleicht zu 10 Prozent auf mich und zu 90 Prozent auf die andere Person. Wenn mich jemand auf der Straße anhupt, weil ich ihm zu langsam über den Zebrastreifen gehe, geschieht das in der Regel nicht wegen meines Verhaltens, sondern eher aufgrund seiner eigenen Stimmung – sei es, weil er gestresst ist, einen Streit hatte oder es eilig hat. In Wirklichkeit hat mein Verhalten kaum Einfluss auf seine Reaktion.
Macht es denn überhaupt Sinn, zu versuchen gegen Vorurteile zu argumentieren?
Die Frage ist: Wie ist mein Verhältnis zu der urteilenden Person? Wenn mich der andere nur provozieren will, dabei aber überhaupt keine Ahnung vom Thema hat, dann hat es gar keinen Sinn, dass ich mich auf eine Diskussion einlasse, denn es wird keinen echten Austausch geben. Ist da hingegen jemand, der eine schlechte Erfahrung gemacht hat oder aus Unwissenheit agiert, dann kann ich versuchen aufzuklären. Aber man darf sich ganz bewusst die Frage stellen: Ist es mir die Energie wert, diese Sache jetzt auszudiskutieren? Möchte ich überhaupt in so eine Beziehung mit der anderen Person treten?
Manchmal ist es sehr verletzend, von jemand vorverurteilt zu werden. Wie geht man damit um?
Zuerst einmal kann man sich überlegen: Warum trifft mich dieses Vorurteil eigentlich so sehr? Warum gebe ich einer eventuell unwissenden Person die Macht, meine Gedanken, mein Selbstbild zu beeinflussen? Wenn z. B. jemand zu mir sagt: „Du hast überhaupt keinen Geschmack, was Kleidung betrifft“, und ich denke mir nur „Okay, das ist deine Meinung, aber die interessiert mich eigentlich nicht. Ich mag meinen Geschmack“, dann bin ich auf der sicheren Seite. Wenn ich überzeugt bin, recht zu haben, dann treffen Vorurteile mich nicht. Meistens ist es ja sowieso so, dass der Urteilende gar keine Kompetenz in Bezug auf das Thema hat. Bestes Beispiel: Social Media. Wenn ich mir sicher bin, dass ich recht habe und das Vorurteil falsch ist, dann kann ich eine weitere Frage stellen: Warum sagt mein Gegenüber solche Dinge?
Angenommen, man möchte ein Vorurteil entkräften. Wie gelingt das?
Zuerst ist es nötig, der Meinung des anderen auf den Grund zu gehen. Fragen stellen! „Ist dir schon mal was Schlimmes mit einem Pferd passiert? War Tierquälerei schon mal ein Thema für dich?“ Damit wird der persönliche Hintergrund für das Vorurteil klar und man kann Argumente suchen, die es entkräften, z. B. in dem man über die Rechtslage, über das Tierschutzgesetz aufklärt, und erklären, welche Vorkehrungen auf Turnieren getroffen werden, um das Pferdewohl zu sichern: „Da gibt es vet checks, Stewards etc.“ Wichtig ist, den eigenen Standpunkt mit positiven Argumenten zu untermauern: persönliche positive Geschichten, gute Erfahrungen. Und man darf auch ehrlich sagen: „Ja, es gibt immer Menschen, die es schlecht machen, und welche, die es gut machen – es ist nicht alles schwarz oder weiß.“
Manche Vorurteile kommen ja auch nicht von ungefähr …
Ja, man sollte sich immer fragen: Kann es sein, dass in einem Vorurteil ein Quäntchen Wahrheit enthalten ist? Wenn wir dem Urteilenden wirklich zuhören, erfahren wir vielleicht etwas, das es wert ist, gehört zu werden. Das ist dann manchmal umso schwerer, weil man sich eingestehen muss, dass die eigene Meinung nicht ganz richtig ist. Wenn man selbst schon an seinen Handlungen zweifelt, fällt ein Vorurteil natürlich auf fruchtbaren Boden und löst viele Emotionen aus. Aber wir sind ja alle Menschen und auch wenn wir Fehler machen, sollten wir nicht zu hart mit uns selbst ins Gericht gehen. Beim nächsten Mal können wir es immer besser machen! Es zahlt sich aus, die eigene Meinung zu hinterfragen.
Ganz pragmatisch: Wie kann man eine sinnlose Diskussion im Keim ersticken?
Es gibt verschiedene Methoden. Eine wäre: mit Humor! Man kann auch einfach sagen: „Danke für deine Sichtweise, die nehme ich mir gerne mit“, und eine Diskussion damit gar nicht aufkommen lassen. Wenn man noch dazusagt: „Ich sehe das anders“, schafft man damit eine klare Trennung zwischen sich und der urteilenden Person.
Welche drei Tipps würden Sie für einen cleveren Umgang mit Vorurteilen zum Schluss geben?
Erstens: Den Austausch mit Gleichgesinnten suchen! Es hilft, sich mit anderen Pferdeleuten zusammenzutun und deren Erfahrungen mit Vorurteilen zu erfragen. „Hast du so etwas schon einmal erlebt, wie bist du damit umgegangen?“ Das schafft Solidarität. Zweitens: Das wichtigste gegen Vorurteile ist Aufklärung. Wenn ein konstruktives Gespräch möglich ist, dann zahlt es sich aus, die urteilende Person aufzuklären. Und zuletzt: Als positives Beispiel vorangehen, Einladungen aussprechen! „Komm einmal zu mir in den Reitstall, ich zeige dir, wie wir das machen.“ Damit überrumpelt man die meisten.