Fütterung

Neue Kräfte für Bohnenstangen

Ein Artikel von Stephanie Kollin | 03.03.2025 - 17:45
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Ob das Pferd zu dünn ist, kann man durch den Body Condition Score ermitteln. © www.slawik.com

Mein Pferd ist zu dünn. Das ist ein Satz, den man in Stallgassen landauf, landab nicht selten hört. Damit sind auch oft ganz normal gebaute Pferde gemeint, die nur vermeintlich zu dünn sind, weil ihnen entweder Muskulatur fehlt, oder weil sich unsere Augen mittlerweile schon an sehr gut genährte Pferde gewöhnt haben. Dennoch gibt es sie, die Bohnenstangen, in deren Mäulern Futter ohne Ende mit Großteils wenig Effekt verschwindet. Das kann die Besitzer:innen an den Rand der Verzweiflung bringen, auch weil diese Pferde mitunter infektanfällig, müde und abgeschlagen sind. Man möchte ihnen zu neuen Kräften verhelfen - aber wie? 

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Alter, Rasse und Verwendung des Pferdes sind wichtige Faktoren bei der Ermittlung des BCS.  © www.slawik.com

Schritt 1: Fachkundige Analyse

Um einen subjektiven Eindruck faktisch zu untermauern oder zu widerlegen, helfen Messskalen. Da es nicht nur wichtig ist, ob ein Pferd sein Idealgewicht hat, sondern auch, wie sich dieses im Verhältnis von Muskel- zu Fettmasse aufteilt, verwendet man derzeit den Body Condition Score, kurz BCS (siehe auch PR 9/24, Seite 20). Um diese Beurteilung selbst durchzuführen, finden Sie z. B. eine detaillierte Anleitung auf der Pferderevue-Website (Body Condition Score: Zu dick, zu dünn oder genau richtig?).

Zu beachten ist jedoch, dass z. B. Jungpferde durchaus Phasen haben dürfen, in denen sie schlaksig sind - hier darf der BCS sogar idealerweise nach unten statt nach oben tendieren. Für Pferdesenioren ist Untergewicht hingegen nicht so leicht zu verdauen. Distanz,- Vollblut- und Sportpferde liegen mit ihrem individuellen Idealgewicht in puncto BCS oft zwischen 4 und 5.

Wer so ein Pferd nur aus optischen Gründen rund füttert, tut ihm nichts Gutes! Es ist daher grundlegend wichtig, in die Analyse Alter, Rasse und Verwendung des Pferdes miteinzubeziehen. Auch innerhalb derselben Rasse und in ähnlichem Alter weisen Pferde unterschiedliche Körpertypen auf, das Idealgewicht hat daher, genauso wie z. B. das Stockmaß einer Rasse, eine gewisse Schwankungsbreite.

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Altersbedingt dünne Pferde sind beim Fütterungsmanagement oft eine Herausforderung. © www.slawik.com

Schritt 2: Ehrliche Ursachenforschung 

Sobald festgestellt wurde, in welchem Ausmaß das Pferd zu wenig Gewicht aufweist, hilft ein Rundumblick. Ist das Pferd regelmäßig phasenweise dünn, wie etwa im Fellwechsel, nach intensiven Trainings- oder Turnierphasen oder bei Hengsten in der Decksaison? Oder liegen außergewöhnliche Situationen vor: eine längere Stehphase wegen Krankheit oder OP, das Säugen eines Fohlens bei Mutterstuten, ein Stallwechsel mit Eingewöhnung in eine neue Herde? Oder aber kommt es ohne Veränderung der Außenfaktoren zu einem kontinuierlichen Gewichtsverlust? 

Mit jeder dieser Situationen gilt es unterschiedlich umzugehen. Denn einfach mehr zu füttern, ohne die zugrunde liegenden Ursachen der Abnahme zu verändern oder abzustellen, wird gerade im Falle eines kontinuierlichen Abbaus nicht zum Erfolg führen, und es werden möglicherweise gesundheitliche Probleme übersehen. 

Gründe für einen Gewichtsverlust

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Es gibt viele Gründe, warum ein Pferd zu dünn sein könnte. © www.slawik.com

  • zu wenig oder verdorbenes Grundfutter (Weidegras, Heu, Stroh) und/oder Trinkwasser  
  • Stress: Häufig magern Pferde aufgrund von Stress oder mangelhafter Grundversorgung ab. Auch zu wenig Platz, zu wenige Fressmöglichkeiten oder keine bzw. zu wenige optimale Schlafplätze können zum kräftezehrenden Dauerstressfaktor werden.
  • Mangel an Spurenelementen oder Mineralstoffen, Proteinunterversorgung: Ist ein Mangel einmal mittels Blutbild, Rationsberechnung und/oder Futteranalyse eindeutig festgestellt, lässt er sich mit der richtigen Futterergänzung rasch in den Griff bekommen! 
  • altersbedingte Gewichtsverluste 
  • Parasiten 
  • schlechte Zähne 
  • Stoffwechselerkrankungen (z. B. Cushing, Borreliose, Schilddrüsenunter- oder -überfunktion) 
  • Magengeschwüre, Leber- oder Nierenprobleme, Darmerkrankungen, Tumore (insbesondere im Verdauungstrakt) 
  • unpassendes Training: Ein Pferd, das mit der Trainingssituation nicht positiv gefordert, sondern überfordert ist, wird ebenfalls kein Gewicht zulegen, sondern eher abbauen. Eine kurzfristige Gewichtsabnahme nach einem anstrengenden Bewerb ist hingegen normalerweise unbedenklich. Solange sich das Gewicht nach Rückkehr zum normalen Alltag wieder nach oben korrigiert, reichen hier etwas Geduld und einige Tage lang Extraportionen an Wiesencobs oder Mash aus. 
  • zu viel Kraftfutter: Zu hohe Mengen an Kraftfutter, genauso aber auch große Mengen an Obst oder Karotten können die Darmflora so verändern, dass trotz ausreichender Futtermenge die Nährstoffe aus dem Futter nicht mehr richtig resorbiert werden können.
  • Schmerzen: Chronische Schmerzen bleiben oft unentdeckt. Da Pferde Meister darin sind, Schmerzen unbemerkt wegzustecken, sieht man ihnen häufig erst spät an, dass schon lange etwas zwickt. Dazu können auch Verletzungen in der Maulhöhle gehören, die durch scharfe Zahnkanten verursacht werden. Schmerzen führen meist schnell zur Appetitlosigkeit und Abgeschlagenheit - diese Anzeichen sollten ohnehin die Alarmglocken läuten lassen, bevor ein Gewichtsverlust deutlich wird. 
  • Infektionen (hohes Fieber): Bei akutem Infekt oder Fieber ist Appetitlosigkeit als Begleiterscheinung normal und muss nicht sofort besorgniserregend sein. Behalten Sie die Situation allerdings genau im Auge und ziehen Sie Ihren Tierarzt zu Rate. 
  • langanhaltende Antibiotikabehand­lung, vorangegangene schwere Krank­heit oder Operation, Verletzungen z. B. des Kiefers (Bruch, Fissur)
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Eindecken im Winter kann helfen, den Energieverlust zu verringern. © www.slawik.com  

Anhand dieser Punkte wird deutlich, dass die Ursachen für Untergewicht nicht immer auf den ersten Blick zu er­kennen sind. Kann man offensichtliche Gründe ausschließen, ist es jedenfalls ratsam, den/die Tierärzt:in hinzuzu­ziehen. Ein großes Blutbild, Zahn­untersuchung, Kotuntersuchung und möglicherweise eine Magenendoskopie können schnell Erklärungen liefern, wenn man selbst vielleicht seit Mona­ten rätselt. Allerdings: Oft ist ein ehrlicher Blick auf die Rahmenbedingungen bereits sehr aufschlussreich. Ein rangniedri­ges Pferd kann z. B. auch bei ganztägiger Heuversorgung auf der Koppel zu wenig Zeit haben, um in Ruhe zu fressen.

Es gibt auch Pferde, die über Nacht in ihrer Box keine großen Heuportionen fressen, sondern eher ruhen. Ein Offenstall mag grundsätzlich als pferdefreundlich gel­ten, kann aber auch eine Belastung für ein Pferd darstellen. Ein häufig über­sehener Kalorienkiller sind v. a. bei al­ters- oder krankheitsbedingt dünnen Pferden sowie bei kälteempfindlichen Rassen kalte Temperaturen. Die Kör­pertemperatur aufrechtzuerhalten, er­fordert vom Pferdeorganismus Energie, wenn die schützende Fettschicht oder die natürliche Isolation durch warmes Winterfell nicht ausreichen. Deshalb ist es u. U. ratsam, schlanke und dünne Pferde bei kaltem Wetter einzudecken!

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Eine gesunde Weide ist ein idealer Dickmacher. © www.slawik.com

Schritt 3: Durchdachte Fütterung 

Bei der Fütterung von abgemagerten Pferden sollte man anfangs Vorsicht walten lassen. Wer es zu schnell zu gut meint, kann den Verdauungstrakt überfordern. Das ist auch abhängig vom Grad der Unterversorgung und wie lange diese angehalten hat. Je niedriger das Gewicht und je länger der Zustand schon vorliegt, desto mehr Zeit sollte das Auffüttern in Anspruch nehmen. Lagen über einen längeren Zeitraum zu lange Fresspausen vor, kann es sein, dass die Magen- und Darmschleimhaut gereizt ist. 

Als Grundlage ist, wie immer, Raufutter das A und O. Wenn allerdings durch ein Ungleichgewicht in der Darmflora die rohfaserverdauenden Bakterien nicht ausreichen, genügt die daraus gewonnene Energie alleine nicht, um eine Gewichtszunahme sicherzustel­len. Hier kann Mash eine gute Unter­stützung bieten, aber auch entzuckerte Rübenschnitzel, kleine Mengen an Weizenkleie, Leinsamen, Hafer- und Maisflocken. Sehr wichtig sind kleine Portionen über den Tag hinweg: Drei bis fünf dürfen es schon sein, um den Verdauungstrakt nicht zu überlasten. Auch kleine Mengen an Öl können da­bei unterstützen. Nicht zuletzt sollte die Versorgung mit Spurenelementen und Mineralstoffen mittels Futterzusätzen sichergestellt werden. Gerade wenn ge­sundheitlich relevantes Untergewicht vorliegt, macht die Beratung durch ei­ne:n Ftterungsexpert:in sowie die Be­gleitung durch den Tierarzt Sinn. 

Tipp

Einer der besten Dickmacher ist immer noch eine gesunde Weide. Diese weist im Jahresrhythmus natr­liche Schwankungen in der Nährstoff­konzentration auf, daher kann sie beim Auffttern helfen, allerdings nicht allei­nige Abhilfe gegen Untergewicht sein. 

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Ausreiten eignet sich ideal zum schonenden Aufbau. © www.slawik.com

Schritt 4: Angepasstes Training 

Ein Pferd nur dick zu füttern, wäre eine sehr ungesunde Lösung. Muskelmasse entsteht nur bei Beanspruchung durch Bewegung. Wie beim Futter ist auch hier entscheidend, in welchem Ausmaß das Untergewicht vorliegt. Stark abge­magerte Pferde dürfen auf die Koppel gehen und mit kleinen Spaziergängen sowie mit Körperarbeit wie z. B. phy­siotherapeutischen Übungen bei Laune gehalten werden.

Vom Reiten oder an­derer Leistung sollte abgesehen wer­den, bis ein gesundes Gewicht erreicht ist. Für sehr schlanke Pferde, die mehr auf die Rippen bekommen sollen, macht ein ausgewogenes Training zusätzlich zum Erhöhen und Verändern der Fut­terration durchaus Sinn. Es sollte keine Extreme beinhalten, das Bewegungslevel muss an die Futtermenge angepasst werden. Das heißt: Wenn ich ein Pferd umso mehr beanspruche, je mehr ich füttere, wird nicht mehr auf den Rippen bleiben. Stangenarbeit, Dressurarbeit und Schrittausritte sind für den gesun­den Muskelaufbau hier besser geeignet als hartes Training. 

Tipp

Bei saisonalen Leistungsspitzen kann man gut im Voraus planen, wann die Anfütterung starten muss, um das Pferd mit genug Reserven in eine Saison gehen zu lassen. Genügend Zeit dafür einzuplanen, macht Sinn, um den Verdauungstrakt gerade im gesteigerten Training nicht plötzlich mit großen Futtermengen und möglicherweise auch noch einem Wechsel des Futters zu belasten.

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Beim Auffüttern langsam und mit Bedacht vorgehen. © www.slawik.com

Mit Bedacht! 

Ein bedachtes Vorgehen beim Auffüttern von mageren und zu dünnen Pfer­den zahlt sich aus. Besser eine lang­same und konstante Gewichtszunahme unter Schonung des Magens und des Stoffwechsels, als zu schnell zu viel des Guten! Stress ist ein nicht zu vernach­lässigender Faktor, wenn es um Ge­wichtsmanagement geht. Ein gesamt­heitlicher Blick und die ehrliche Frage, ob es um Optik oder Gesundheit geht, helfen für die reelle Einschätzung des Handlungsbedarfs. Ist dieser gegeben, kann die Unterstützung eines Fütte­rungprofis sehr gute Dienste leisten!