TIERMEDIZIN   

Angst vor Antibiotikaverbot für Tiere: unbegründet?

Ein Artikel von Eva Schweiger | 14.09.2021 - 12:46
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Am morgigen Mittwoch, dem 15. September, wird im Europäischen Parlament über einen Rechtsakt abgestimmt, der den Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin regelt. Die Verordnung des EU-Parlaments über Tierarzneimittel, die 2019 verabschiedet wurde und im Jänner 2022 in Kraft treten soll, muss nun mit einem Nachfolgerechtsakt ergänzt und konkretisiert werden. Es geht darum, welche Antibiotika in Zukunft der Humanmedizin vorbehalten werden und welche weiterhin für die Anwendung an Tieren zur Verfügung stehen sollen.

Hintergrund ist die seit Jahrzehnten länger werdende Liste an antibiotischen Wirkstoffen, gegen die sich Resistenzen entwickelt haben. Strategien gegen das Aufkommen solcher resistenter Krankheitserreger zu finden, ist eine ständige Herausforderung: Dass Bakterien immer wieder neue Wege finden, die Wirkmechanismen von antimikrobiellen Stoffen zu umgehen, ist seit langem bekannt und Teil unserer Evolutionsgeschichte. Im Laufe der Zeit ist es daher unvermeidbar, dass bestimmte Antibiotika ihre Wirkung verlieren. Werden sie falsch, das heißt nicht lange genug oder nicht richtig dosiert angewendet, fördert und beschleunigt das die Entstehung von Resistenzen zusätzlich.

Da aber der Entdeckung und Entwicklung neuer antibiotischer Wirkstoffe Grenzen gesetzt sind, ist es umso wichtiger, sie klug und wohlüberlegt einzusetzen. „Genau dieser ‚prudent use‘ ist es, auf den die aktuell diskutierte EU-Verordnung abzielt“, sagt Elke Hellmich-Postler, Veterinärmedizinerin und Geschäftsführerin eines Tierarzneimittelherstellers.

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Reserveantibiotika als Lebensretter für Mensch und Tier

Um zu vermeiden, dass gegen lebensgefährliche Erkrankungen letztendlich überhaupt kein wirkungsvolles Antibiotikum mehr verfügbar ist, werden sogenannte Reserveantibiotika definiert. Diese sind der Humanmedizin vorbehalten und sollen auch beim Menschen ausschließlich dann eingesetzt werden, wenn ein Therapieziel aufgrund der Resistenzlage mit keinem anderen Antibiotikum erreicht werden kann. Damit bleibt die Gefahr von Resistenzbildungen möglichst gering.

In der aktuellen Debatte geht es nun darum, welche Wirkstoffe als letzte Rettungsanker dem Menschen vorbehalten sein sollen. Was momentan vordergründig bewegt, ist allerdings nicht die konkrete Auswahl an Reservewirkstoffen, sondern die Frage: Was passiert, wenn ein geliebtes Haustier erkrankt, und nur mit einem in Zukunft für die Humanmedizin vorbehaltenen Antibiotikum gerettet werden kann? Die Antwort ist einfach, sagt Elke Hellmich-Postler: „Dasselbe wie bisher – es wird mit dem notwendigen Humanpräparat behandelt. Den Tierärzt:innen sind bei der Therapie von Kleintieren nämlich kaum Grenzen gesetzt. Das gebietet schon das Tierschutzgesetz und die Berufsethik der Veterinär:innen. Juristisch wird in diese Therapiefreiheit kaum eingegriffen. Dass Hund, Katze und Co. also durch die angedachte Gesetzgebung in Gefahr gerieten, ist schlichtweg falsch.“

Anders gestaltet sich die Situation bei Nutztieren. Hier ist der Einsatz von Humanpräparaten tatsächlich verboten. Hinzu kommt eine spezielle Schwierigkeit im Nutztierbereich: Einzeltierbehandlungen – die viel weniger Gefahr für die Entstehung von Resistenzen bergen als Gruppenbehandlungen – sind oft nicht möglich oder nicht sinnvoll. Der ausufernde niedrigdosierte (also extrem resistenzenfördernde!) Einsatz von Antibiotika als Leistungsförderer war hier bis in die 1990er-Jahre sogar gang und gäbe. Mittlerweile bemüht man sich um Einzeltierbehandlungen und – wichtiger noch – um die Verbesserung der Haltungsbedingungen, um die Gesundheit der Tiere an sich zu fördern. 

Elke Hellmich: „Das Thema Antibiotikaeinsatz in der Lebensmittelproduktion ist ein altbekanntes, und mit der aktuellen Diskussion gewinnt es kaum neue Substanz. Aus den Kreisen der Nutztierhalter:innen und -tierärzt:innen hört man dementsprechend momentan wenig dazu. Man weiß: Es dauert Jahre bis Jahrzehnte, bis bestimmte Antibiotika tatsächlich verboten werden.“ Der zukünftige europäische Rechtsakt muss, einmal angenommen, außerdem erst auf nationaler Ebene umgesetzt werden, bis er zum Beispiel in Österreich in Kraft treten kann.

Unbestritten bleibt, dass gute Haltungsbedingungen ein Grundpfeiler der Tiergesundheit sind. „Klar ist, dass die seit Jahrzehnten bestehenden Bemühungen, eine Verbesserung der Haltungsbedingungen für Nutztiere umzusetzen, schon einen starken Rückgang des Antibiotikaeinsatzes mit sich gebracht haben. Strahlendes Beispiel dafür ist etwa die Hühnerfleischproduktion in Österreich, wo Wirkstoffe, die jetzt als Reserveantibiotikum definiert werden sollen, tatsächlich nur mehr rudimentäre Bedeutung haben“, unterstreicht Elke Hellmich-Postler die positive Entwicklung.

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Spezialfall Pferd

Pferde gelten als Spezialfall: Rein gesetzlich als Nutztiere angesehen, sind sie in der Praxis fast immer Liebhabertiere, also nicht als Schlachttiere deklariert. Als solcher Nicht-Schlacht-Equide darf das Pferd eine viel breitere Palette an Medikamenten bekommen als ein Nutztier.

Für Pferde gibt es abgesehen davon in Österreich aber sowieso sehr wenige zugelassene Antibiotika. Die Tierärzt:innen verschreiben also notgedrungen Präparate für andere Tierarten. Diese sogenannte Umwidmung oder Kaskadenregelung ist ein wesentlicher Bestandteil des Tierarzneimittelkontrollgesetzes.  Dort heißt es unter § 4 (2) sinngemäß, dass bei Vorliegen eines Therapienotstandes Tierarzneimittel angewendet werden dürfen, die für eine andere Tierart oder eine andere Indikation zugelassen sind, genauso wie Medikamente, die in Österreich für den Menschen zugelassen sind, wenn die nötigen Tierarzneimittel nicht verfügbar sind. „An dieser Regelung wird sich wohl auch mit dem neuen EU-Rechtsakt nichts ändern“, ist Elke Hellmich-Postler überzeugt.

Die Möglichkeiten der Tierärzt:innen, Kleintiere und Pferde mit lebensrettenden Antibiotika zu behandeln, sind von den neuen Entwürfen, die dem EU-Parlament demnächst vorgelegt werden, also wohl kaum betroffen. Und die Angst, die aktuell gegen die anstehenden Regelungen geschürt wird, erscheint bei genauerer Betrachtung unbegründet.