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Der eher kleingewachsene Fuchswallach E.T. mit der unverkennbaren Blesse gilt bis heute als eines der erfolgreichsten Pferde in der Geschichte des Springsports. © Manfred Leitgeb

Abschied von E.T. und Apricot D

Ein Artikel von Pamela Sladky | 13.01.2013 - 19:25
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Der eher kleingewachsene Fuchswallach E.T. mit der unverkennbaren Blesse gilt bis heute als eines der erfolgreichsten Pferde in der Geschichte des Springsports. © Manfred Leitgeb

Die Bühnen des großen Turniersports hatten E.T. und Apricot D schon viele Jahre verlassen. Denn Servus sagten die beiden Koryphäen bereits Ende 2004 beim 19. „Fest der Pferde“ in der Wiener Stadthalle. Freilich nicht leise  - sondern standesgemäß während einer hollywood-reifen Inszenierung mit Opernmusik, Reiterspalier und Zapfenstreich. Wie es sich für derartige Größen eben gehört. Zusammen übersprangen sie unter Standing Ovations das letzte Hindernis, ehe ihnen der Sattel für immer abgenommen wurde. „Für mich geht damit ein Lebensabschnitt zu Ende“, sagte ihr Reiter Hugo Simon in jenem Moment mit brüchiger Stimme und unter Tränen. 

Danach genossen E.T. und Apricot D in Weisenheim am Sand in einer extra für sie errichteten Stall-Anlage noch mehr als acht Jahre den Ruhestand. Am 4. Januar 2013 ging ihr bemerkenswertes Leben schließlich zu Ende. Da vor allem E.T. nur noch mühsam auf die Beine kam, sollte ihnen das Dasein nicht zur Qual werden. Hugo Simon entschloss sich deshalb schweren Herzens, sie einschläfern zu lassen und sich endgültig von zwei Partnern zu trennen, die sein Reiterleben entscheidend geprägt hatten  -  was hauptsächlich für E.T. gilt, den kleinen Fuchs mit dem großen Herzen.

Das Kürzel E.T. steht übrigens für „extra terrestrian“, also „außerirdisch“. Zusätzlich wurden ihm noch die Buchstaben „FRH“ angehängt  -  was „Verein zur Förderung des Reitsports auf hannoverschen Pferden“ bedeutet, da E.T. den Brand der Hannoveraner auf dem linken Hinter-Schenkel trug.     

„Er war unglaublich ehrgeizig, arbeitete immer mit, war ein Kämpfer und stets bemüht keine Fehler zu machen. Dabei halfen ihm seine hervorragende Technik  sowie die überdurchschnittliche Schnellkraft seiner Hinterhand. Er musste aber konsequent geritten werden, weil er etwas guckig war und jede Nachlässigkeit sofort ausnutzte“, charakterisiert ihn sein kongenialer Reiter.   

E.T.: Von der Preis- zur Weltspitze

E.T. war ein Sprössling des Celler Landbeschälers Espri. Die Mutter trug als Enkelin des großen Sportpferde-Machers Grande den Namen Gracia. Ihren berühmten Sohn, der von Detlev Saul in Bremerhaven gezogen wurde, brachte sie 1987 zur Welt. Als Fohlen war E.T. ein kleines Kerlchen und alles andere als aufsehenerregend. Auch später erreichte er mit einer Größe von 1,62 Metern kein Gardemaß. Irgendwann kaufte ihn Dr. Jochen Mehrdorf, der sich als Military-Reiter auch bei olympischen Spielen einen Namen gemacht hatte. Von ihm wurde der Wallach mit der markanten Blesse im Alter von dreieinhalb für die Verdener Auktion angemeldet. Bereits damals löste er beim Freispringen mit seiner perfekten Beintechnik und dem explosiven Jump bei den Juroren Begeisterung aus. Begeistert von ihm war auch seine Auktions-Reiterin Martina Bescher. Und zwar so sehr, dass sie E.T. für 33.000 DM ersteigerte  -  was bedeutete, dass der Wallach als teuerstes Pferd der Versteigerung den Ring verließ. Danach verlief seine Karriere freilich unauffällig. Aber eines Tages stand Hugo Simon vor der Tür seiner Besitzerin, die nun den Nachnamen Herbert trug. Er wollte E.T. unbedingt erwerben  -  die Gegenseite jedoch partout nicht hergeben. Es soll zäh verhandelt worden sein, bis das Objekt der Begierde schließlich in einer Box in Weisenheim stand. Über die Kaufsumme wurde Stillschweigen vereinbart, das bis heute nicht gebrochen wurde.

Im September 1994 wurde dann mit dem Gewinn des Eurocard Youngster Cups in Bremen der Grund-Akkord einer beeindruckenden Karriere angeschlagen. Von da an entwickelten sich E.T. und Hugo Simon für die Konkurrenz immer mehr zu einem intensiven Störfaktor. „Bevor die beiden nicht im Parcours waren, konnte niemand sicher sein, das jeweilige Springen gewonnen zu haben“, sagt zum Beispiel Ludger Beerbaum. Im Laufe der Jahre kamen 45 Siege in hochkarätigen Prüfungen zusammen, zu denen auch die Erfolge im Weltcup-Finale von 1996 und 1997 zählen  -  sowie 1998 der triumphale Gewinn im Großen Preis von Aachen, der in besonderem Maße versüßt wurde. Denn zum Sieg-Preis von 100.000 DM kam ein Bonus von 900.000 Dollar für den Erfolg in der damals noch existierenden Pulsar-Crown-Serie hinzu. Am Ende seiner Laufbahn standen für E.T. mehr als 3,2 Millionen Euro auf dem Konto-Auszug. Damit hatte er in der Springbahn einen Reibach gemacht, wie zuvor kein anderes Pferd. 

Bei Championaten vom Pech verfolgt

Leider blieb E.T. bei Olympischen Spielen und Championaten ein Sieg versagt. 1996 erreichten er und Hugo Simon in Atlanta zwar mit sechs anderen Paaren das Stechen um Silber und Bronze, erzielten in ihm auch die schnellste Zeit  -  kamen aber mit einem Abwurf nach Hause, sodass es nur zum vierten Platz langte. Ein Jahr später gewannen die beiden Haudegen bei der EM dann die Silbermedaille und mussten sich in Mannheim nur der in drei Wertungs-Prüfungen fehlerfrei gehenden Ratina Z unter Ludger Beerbaum beugen. Zur  WM 1998 reisten sie als hohe Favoriten nach Rom, kehrten nach missratenen Auftritten, für die auch Adduktoren-Probleme bei Hugo Simon verantwortlich waren, jedoch als Neunte zurück  -  wobei sich wohl mancher fragt, warum den Erfolgsverwöhnten ausgerechnet bei Championaten und olympischen Spielen das Pech an den Hufen und Stiefeln klebte? 

Mit Apricot D zu olympischem Silber

Bei Apricot D liest sich das etwas anders, obwohl er auf olympischen Parkett nur einen Auftritt hatte. Dabei zeigte er 1992 in Barcelona eine der besten Leistungen des gesamten Starterfeldes. Konsequent vorwärts geritten, blieb der nervenstarke Schimmel im ersten Umlauf des Nationenpreises fehlerfrei und fabrizierte im zweiten Umlauf nur einen Abwurf. Damit war er wesentlich am Gewinn der Silbermedaille für Österreich beteiligt. Mit ihr wurden Thomas Frühmann, Hugo Simon und Jörg Münzner dekoriert, nachdem Boris Boor an jenem Tag auf dem Gelände des Polo Clubs von Barcelona ein Total-Ausfall war. Hätte ihn nicht eine schwere Kolik mit nachfolgender Operation außer Gefecht gesetzt, wäre Apricot D wohl auch noch vier Jahre später in Atlanta an den Start gegangen  - wo ihn dann E.T. vertrat.

Auch bei Championaten wurde Apricot D gesattelt. Beispielsweise 1993 bei der EM in Gijon. Als Ergebnis sprang dort der vierte Platz mit der Mannschaft und der fünfte Rang im Einzel-Klassement heraus.

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Mit Apricot D sprang Hugo Simon 1992 in Barcelona zu olympischem Team-Silber. © Archiv

Apricot D kam 1984 im Drachenhof bei Koblenz zur Welt und trug den Brand des rheinland-pfälzischen Landgestüts Zweibrücken  -  obwohl er durch seinen Vater Alexis und seiner von Gotthard stammenden Mutter ein fast rein-blütiger Hannoveraner war. Im Alter von sechs Jahren erwarb ihn Hugo Simon und formte ihn zu einem Parcours-Crack von besonderer Klasse. Apricot D war ein ganz anderer Typ als E.T. Er hatte ein wesentlich besseres Nervenkostüm als sein Stallgefährte und präsentierte sich dadurch viel ausgeglichener. Trotzdem war er keine Schlafmütze. Auch er lief unter eigenem Dampf und agierte im Parcours als „unerschrockener Kämpfer“, beschreibt ihn Hugo Simon  -  und fügt hinzu, dass Apricot D eine ideale Ergänzung zu E.T. gewesen sei. Wie dieser gewann auch er zahlreiche große Springen, wobei auch schon mal ein beeindruckendes Doppel zustande kam. 1995 zum Beispiel, als Apricot D in Brüssel nicht nur die Weltcup-Prüfung, sondern auch den Großen Preis gewann. Noch mit neunzehn Jahren lieferte er Null-Runden ab, ging mit einem Inkasso von mehr als einer Million Euro und wie E.T. top-fit in den Ruhestand.

E.T. war nach dem Karriere-Ende seiner Pflegerin Margit Herzau geschenkt worden, die seit dem vergangenen August den Nachnamen Simon trägt  -  und abseits von Oxern, Triplebarren und Wassergräben ein besonderes Verhältnis zu dem „Außerirdischen“ entwickelte, Apricot D aber mit Sicherheit nicht weniger gemocht hat. Was ihr und Hugo Simon bleibt, ist nicht nur die Rückbesinnung auf die großen Siege der beiden und die Zuneigung, die sie ihnen schenkten  -  sondern vor allem Wehmut. Wie sagt doch Joachim Fernau so wunderbar, aber auch traurig stimmend: Wehmut, das ist jene Empfindung, die so kostbar zusammengesetzt ist aus Freude, Trauer, Resignation und unverlierbarer Erinnerung.         

Arnim Basche