Moderner Fünfkampf

Springreiten als Fünfkampf-Disziplin: Was sagt Österreichs Olympia-Fünfkämpfer Gustav Gustenau dazu?

Ein Artikel von Eva Schweiger | 12.08.2021 - 09:11
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Gustav Gustenau auf Aerosmith bei der Olympischen Fünfkampf-Springreitprüfung in Tokio © Filip Komorous

In den vergangenen Tagen gingen vielfältige Verurteilungen, aber auch Erklärungen für die Szenen, die Annika Schleu auf Saint Boy in Tokio erleben musste, durch die Medien. Überforderung, Anspannung, echte Verzweiflung bei Pferd und Reiterin sind mehr als deutlich auf den Videoausschnitten und Fotos zu sehen.

Was das Springreiten im Modernen Fünfkampf so schwierig macht, ist das Reglement: Erst 20 Minuten vor der Prüfung dürfen die Fünfkämpfer:innen ihre Pferde im Sattel kennenlernen. Die Tiere, die der Weltverband des Fünfkampfs (UIPM) am Veranstaltungsort zwei Tage vor dem Bewerb ausgewählt, werden den Athlet:innen dann zugelost, und müssen jeweils mit zwei Reiter:innen durch den Parcours. Die Reihenfolge der Starts bestimmen die Zwischenstände der Teilnehmer:innen. 

Annika Schleu startete auf Saint Boy als zweite Reiterin. Er war jedoch schon unter der Russin Gulnaz Gubaydullina widerwillig gewesen, wurde aber trotzdem ein zweites Mal eingesetzt. Schon das Einreiten in den Parcours will Schleu daraufhin nicht gelingen, die Athletin macht – nach Anweisung ihrer Trainerin, die später von den Olympischen Spielen suspendiert wird – mehrmals heftig von der Gerte Gebrauch. Schließlich sind doch ein paar Sprünge möglich, schlussendlich wird Schleu aber wegen viermaligen Verweigerns disqualifiziert. Dass vor der Prüfung im Springreiten Gold für die Berlinerin zum Greifen nahe war, macht das Scheitern umso tragischer.

Eine bittere Niederlage für die Sportlerin, ein traumatisches Erlebnis für Saint Boy – und ein Grund, den Fünfkampf grundlegend zu verändern?

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Gustav Gustenau mit Aerosmith, dessen Besitzern und seinem Headcoach Thomas Daniel (ganz rechts) © privat

Lizenz und Stilspringen für Fünfkämpfer?

Das Springreiten als Teildisziplin im Modernen Fünfkampf lag bisher außerhalb der Wahrnehmung vieler Pferdesportler:innen. Das besondere Reglement der Sportart, wonach die Athlet:innen ihre Pferde zugelost bekommen und nur für 20 Minuten vor der Prüfung über fünf Sprünge kennenlernen können, wirkt für die Pferdesportwelt durchaus befremdlich. Ist das Pferd hier reines Sportgerät statt Partner? Ist ein solches Reglement nicht fast Garant für Stress und Kampf zwischen Reiter:in und Pferd?

Gustav Gustenau, österreichischer Olympia-Fünfkämpfer in Tokio, sieht das nicht so: „Auch im Fünfkampf ist es möglich, gut und pferdegerecht zu reiten.“ Für Gustenau ist das Reiten Herzensangelegenheit, er hat drei eigene Pferde und stellt diese auch auf klassischen Springturnieren vor. Er ist allerdings eine Ausnahme unter den Fünfkämpfern: Oft stehen keine eigenen Pferde zur Verfügung, trainiert wird auf Verbandspferden. Diese gibt es allerdings in Österreich nicht, weil der nationale Fünfkampf-Verband zu klein ist.

Gustenau und sein Trainerteam haben daher schon früh erkannt, dass das Reiten die große Herausforderung der Sportart ist, und sich dementsprechend damit auseinandergesetzt. Diese vermehrte Konzentration auf das Reiten täte dem Fünfkampf wohl allgemein gut. „Natürlich ist es eine besondere Herausforderung, mit einem fremden Pferd nach so kurzer Vorbereitungszeit zu starten“, sagt Gustenau.

In Tokio gelang dem 24-Jährigen trotzdem ein fehlerfreier Ritt auf Aerosmith und schließlich, dank seiner ebenfalls sehr guten Leistungen im Fechten, Schwimmen, Laufen und Schießen, der 16. Platz in der Gesamtwertung. Schwimmen und reiten seien seine starken Disziplinen, erzählt er. „Aber das ist für jeden anders, jeder hat Stärken und Schwächen. Der Facettenreichtum des Fünfkampfs macht ihn ja so schön, da gehören Ausdauer, Kraft, Rhythmusgefühl, Taktik, Koordination und Schnelligkeit dazu – und eben auch die Zusammenarbeit mit einem Tier.“

Aber die Schwierigkeit mit dem Reiten, meint er, wäre lösbar, „wenn man zum Beispiel eine Reitlizenz als Grundvoraussetzung für die Fünfkämpfer einführen würde. Ein Grundniveau im Reiten sollte gesichert sein, so wie es im Reitsport ja auch ist. Auch an der Punkteverteilung könnte man schrauben“. Nach den geltenden Regeln werden im Reitbewerb von anfangs 300 Punkten Fehlerpunkte abgezogen, es gibt aber keine Pluspunkte. „Für harmonische Vorstellungen und guten Stil könnte man Punkte vergeben. Eine Art Stilspringprüfung wäre schön.“ 

Regeländerungen ab 2022

Der Weltverband des Modernen Fünfkampfs (UIPM) spricht sich jedenfalls deutlich für den Erhalt des Reitens als Teildisziplin seiner Sportart aus und erteilt damit den Forderungen, den Springbewerb komplett abzuschaffen, eine kategorische Absage. In seinem offiziellen Statement vom 8. August zu den Vorfällen in Tokio heißt es, dass die Unvorhersehbarkeit ein Teil des dramatischen Spektakels sei, das den Fünfkampf einzigartig mache. „Die Vorkommnisse bei Annika Schleu und Gulnaz Gubaydullina auf Saint Boy waren ungewöhnlich im Modernen Fünfkampf der Spitzenklasse, besonders für Reiter:innen mit solchem Können“.

Zugleich, heißt es in dem Statement, erkenne der UIPM seine Pflicht an, das Wohlergehen aller Teilnehmer:innen sicherzustellen. Auch jenes der Pferde. Bereits vor dem Vorfall in Tokio seien Regeländerungen für das Reiten in Vorbereitung gewesen, die mit 2022 in Kraft treten sollten. Nun will man das Wohlergehen von Pferden und Athlet:innen bei der Überarbeitung ganz besonders ins Zentrum stellen.