Interview

Alessandra Reich: "Die Rückschläge auf meinem Weg haben mich immer stärker gemacht"

Ein Artikel von OEPS | Red. | 18.11.2022 - 11:12
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Für ihren Loyd hat Alessandra Reich im vergangenen Jahr "unfassbare Angebote" bekommen. Doch die Familie entschied sich gegen einen Verkauf des elfjährigen Belgiers.
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In den letzten drei Jahren hast du den Anschluss an die Weltspitze geschafft. Wie fällt deine persönliche Bilanz in dieser Zeitspanne aus?
Ich habe vor Kurzem auch mit meiner Mutter über dieses Thema gesprochen. Es ist wirklich verrückt, was in den letzten zwei bis drei Jahren alles passiert ist. Ich habe früher sehr viel Pferdesport geschaut und habe die Personen bewundert, die besser und höher gesprungen sind als ich. Irgendwann beginnt man zu träumen, und dass ich genau diesen Traum jetzt selbst leben darf, ist einfach unbeschreiblich. Ich hatte vor einigen Jahren aber eine schwierigere Phase. Ich war mir bewusst, wenn ich weiterkommen will, muss ich einen großen Schritt zurück machen und dann wieder mit einem behutsamen Aufbau starten. Es war eine harte Zeit für mich, ich habe viel geweint – das hat mir ordentlich zugesetzt. Meine Mutter hat öfter gesagt, ich solle es lassen, es hätte wohl keinen Sinn. Diese Zeit hat mich extrem geprägt, mich als Mensch reifen lassen und meinen Charakter gestärkt. Ich bin drangeblieben und habe daran geglaubt, dass es zurückkommt. Darum bin ich aktuell sehr dankbar.

Wenn man deine Emotionen nach dem 10. Platz beim Weltcup-Auftakt beim CSI5* in Oslo (NOR) gesehen hat, ist das wohl Bestätigung genug?
Wenn man bedenkt, dass ich aus keiner Reiterfamilie komme, ist das wirklich eine große Portion Genugtuung. Ich habe mir alles hart erarbeitet und kenne dadurch alle Facetten im Pferdesport. Die Rückschläge auf meinem Weg haben mich immer stärker gemacht und nach vorne gebracht. Daher kann ich Erfolge sicherlich anders einschätzen wie andere Kolleginnen und Kollegen. Der 10. Platz in Oslo hat unfassbar gutgetan. Wenn ich mir heute noch die Bilder und Videos anschaue, ist das schon sehr emotional, und ich bekomme eine Gänsehaut. Manchmal denke ich mir, ich muss da ruhiger werden, darf das nicht so nach außen zeigen. Aber ich bin einfach so, die Emotionen müssen bei mir einfach raus.

Mit Loyd hast du einen unglaublich starken Sportpartner an deiner Seite. Ihr beide wirkt sehr harmonisch, ist das in der Praxis auch so?
Loyd ist echt ein unglaubliches Pferd. Im Parcours ist er immer voll fokussiert und lässt mich nicht im Stich. Das schätze ich sehr an ihm. Ich teile diese schönen Momente einfach gerne mit ihm. Seit Ende 2018 sind wir ein Team und wirklich immer mehr zu einer Einheit zusammengewachsen, auch wenn es auch mal schwierige Phasen gibt. Dann bin ich etwas nervöser, wenn ich aufsteigen muss, weil man nicht genau weiß, wie er gerade drauf ist. Das war für mich ein wichtiger Prozess, man sammelt zusammen Erfahrungen und reift zusammen. Dahingehend bin ich meinen Eltern sehr dankbar. Ich sag immer: Meine Mutter arbeitet so viel und erfolgreich, dass sie mir meinen Traum erfüllen kann. Das weiß ich sehr zu schätzen. Der Spitzensport kostet ein Vermögen. Im letzten Jahr hatten wir unfassbare Angebote für meine Pferde. Sich mit unserem Budget und dem finanziellen Background gegen einen Verkauf zu entscheiden, ist eigentlich verrückt. Aber wir glauben an den Traum von den Olympischen Spielen, und da spielt Loyd eine mehr als essenzielle Rolle.

Nach einem fantastischen letzten Jahr ging 2022 die Konstanz ein wenig verloren, du musstest bei den Weltreiterspielen in die Zuschauerrolle schlüpfen. Wie schwierig war diese Phase für dich?
Ich war im Jahr davor wirklich gut drauf und habe einen großen Schritt nach vorne gemacht. Wir haben dann heuer den Beschlag geändert, das hat nicht so gut funktioniert. Wir haben viele gute Ergebnisse gehabt, leider nicht mehr so konstant wie davor. Den Beschlag kann man leider nicht von heute auf morgen ändern. Ich war sehr traurig, dass ich nicht berücksichtigt wurde, es war eines meiner großen Ziele für dieses Jahr.

Aber wie wir dich kennen, lässt du dich davon nicht unterkriegen, sondern hast bereits neue Ziele für dich definiert?
Die Olympischen Spiele in Paris 2024 sind nach der Europameisterschaft 2023 ein großer Traum von mir. Ehrlich gesagt bin ich sehr optimistisch, dass wir es als Team nach Frankreich schaffen. Wir haben eine super Mannschaft und viele Reiterinnen und Reiter, die aktuell auf einem sehr hohen Niveau performen können. Früher war Max Kühner der einzige Vertreter auf höchstem Niveau und es war eine Sensation, wenn er einmal einen Weltcuppunkt gemacht hat. Zuletzt hat Gerfried Puck in Italien sensationell Platz 2 geholt – das war abnormal. Wenn uns bei der Qualifikation einige Dinge in die Karten spielen, können wir das schaffen. Der Spirit ist echt toll, und wir profitieren voneinander – ich bin sehr stolz, dass ich ein Teil dieses Teams sein darf. Wir werden weiterhin gut trainieren, damit wir dann, wenn es darauf ankommt, unsere Leistung zeigen können.

Du bist jetzt schon lange im Pferdesport unterwegs. Gibt es den klassischen schönsten bzw. emotionalsten Moment?
Es gibt es viele tolle Momente, die einem im Kopf hängenbleiben. Aber ein Erlebnis hat mich geprägt – daran denke ich immer wieder gerne zurück. Seit 2009 habe ich an den Staatsmeisterschaften im Springreiten teilgenommen. Ich wollte immer einmal auf dem Siegerpodest ganz oben stehen. Von 2009 bis 2014 konnte ich jedes Jahr eine Medaille gewonnen, entweder Silber oder Bronze. Natürlich freut man sich darüber, aber irgendwann denkt man sich: „Oh, Mann, schon wieder!“ 2015 war es dann so weit. In meinem ersten Jahr bei den Jungen Reitern habe ich mir in souveräner Manier – mit der einzigen fehlerfreien Runde – den Titel geholt. Es war wie ein Befreiungsschlag. Ich habe das, wie so oft, sehr emotional gefeiert.

Gibt es in deinem Leben ein Idol, dem du nacheiferst?
Wie bei vielen aufstrebenden Reiterinnen und Reitern ist Marcus Ehning eine sehr große Nummer – man kann getrost von einem Vorbild sprechen. Aber ich muss sagen, es gibt auch einen anderen Reiter, der mich inspiriert. Pepo Puch ist nach mir auch in unseren Stall in der Schweiz gekommen. Wir haben uns ein paar Mal getroffen und waren auch gemeinsam abendessen. Das war für mich ein wirklich einschneidendes Erlebnis. Wie er gesprochen hat und seine Ansichten über das Leben sowie den Pferdesport haben mir imponiert. Er hat mich unfassbar beeindruckt! Man kann nur zu Pepo aufschauen – er ist eine Person, die in all ihren Facetten inspiriert.

Seit deiner Kindheit bist du mit dem Pferdesport in Berührung. Was ist die Faszination, die das Springreiten zu deiner Sportart gemacht hat?
Meine Eltern waren beide im Leistungssport unterwegs, da verbrachte ich die Ferien auf einem „Ponyhof“. Erst am letzten Tag durfte ich, weil es mein Geburtstag war, endlich auf einem Pferd mitreiten – daran erinnere ich mich heute noch genau. Das Faszinierende für mich ist, dass man mit den Pferden kommunizieren kann, ohne zu sprechen. Es gehört viel dazu, dass man das Pferd auf seine Seite holen kann und es für einen alles gibt. Ich liebe die Zusammenarbeit mit dem Pferd – der Gedanke, gemeinsam etwas zu entwickeln, ist wirklich extrem cool. Es geht nicht darum, wie hoch man springen kann, eher darum, was man zusammen aufbauen und erreichen kann. Wichtig ist, dass die Pferde glücklich sind. Sie können Pferd sein, auf der Koppel ihren Spaß und ihre Entspannung haben, aber dann auch auf dem Turnier performen. Diese Kombination ist mir sehr wichtig.

Gibt es in deinem Leben so etwas wie einen Lieblingsplatz?
Ja, den gibt es. Es ist jetzt wenig verwunderlich, dass es wieder mit dem Pferdesport zu tun hat. Bei uns auf der Anlage findet immer ein Vielseitigkeitsturnier (3 Sterne) statt. Da sitze ich gerne am Wasserhindernis in der Ecke und mache mit meinen Freunden ein Picknick. Daneben der Wald, auf der anderen Seite die Koppel und ein ereignisreicher Platz. Das ist mein Platz.