Spannender als er es sich selbst vorgestellt hatte, machte es der Weltranglistendritte Kühner in dieser hochklassigen Qualifikationsprüfung, in der für zahlreiche große Namen schon heute das Aus im Kampf um den Olympiasieg kam. Die Parcoursbauer wählten diesmal eine klassische Linienführung, wobei sie mit 20 bis 25 Nullfehlerritten rechneten. Und sie hatten richtig kalkuliert, exakt 20 Paare blieben ohne Makel. Bei den weiteren 20 Reiter:innen mit vier Fehlerpunkten musste die Zeit entscheiden. Und hier hatte Kühner das bessere Ende für sich. Mit 73,04 war er der fünftschnellste, konnte allerdings erst nach langem Warten erleichtert durchatmen.
War da ein Fehler?
Der Wahlösterreicher strahlte, als er den Weg zu den österreichischen Journalisten fand. Seit Hugo Simon hatte noch nie eine so große Zahl von Presseleuten mit einem österreichischen Springreiter in der Mixed Zone mitgezittert. Auf die Frage, warum er es denn so spannend machte: „Das war nicht beabsichtigt. Es ist natürlich grundsätzlich alles aufregend hier, aber als ich beim Abreiten auf Blue gesessen bin, habe ich eigentlich ein richtig gutes Gefühl gehabt. Wir sind das eigentlich locker angegangen, er hat sich souverän angefühlt.“
Zwar meisterten die beiden den Wassergraben und auch die nachfolgende Zweierkombination ohne Anzeichen einer Schwäche, aber nach der Linkswendung streifte Elektric Blue mit den Vorderbeinen den bunten „Bienvenue á Paris - Steilsprung“. „Nach dem Fehler war ich mir erst einmal gar nicht sicher, ob es ein Fehler war, weil ich auch nicht wirklich das Fallen gehört habe. Ich habe dann zwischendurch einmal etwas gemacht, dass man den Jungen immer sagt, dass sie das nicht machen dürfen: Nämlich auf die Anzeigetafel geschaut! Dann ging ich zwei Wendungen ein bisschen enger, was mit ihm kein Problem ist.“
Je schwerer, desto lieber
Nun gaben die beiden richtig Gas, alle übrigen Stangen blieben oben, doch es kamen nach Kühner noch 18 Starter:innen. „Ich war total nervös.“ Denn er hatte sich hier doch einiges vorgenommen: „Ich finde die Atmosphäre und alles hier in Versailles schön, aber wir möchten außer ein paar schönen Tagen auch noch was mitnehmen nach Hause. Das ist schon unser Anspruch und unser Ziel!“
Morgen geht es für Kühner also in der Entscheidung wieder bei Null los, sodass er sich zuversichtlich zeigt: „Ich musste heute nicht kämpfen oder ihn besonders stark unterstützen, damit es funktioniert hat. Wenn sie morgen etwas drauf packen, kommt uns das zugute.“
Schade, dass es für Katharina Rhomberg nicht ganz fürs Finale reichte. Sie schlug sich mit ihrem Colestus Cambridge aber um Längen besser als in der Mannschaftsquali und zeigte einen stilistisch wunderschönen Ritt: „Ich war wirklich sehr zufrieden mit meiner Runde. Ich glaube, Colestus ist das einzige neunjährige Pferd hier, eigentlich ein Wahnsinn. Und für mich und für ihn war es das erste Mal in so einem schweren Parcours. Wir hatten einen richtig blöden Fehler in der Dreifachen, vielleicht mit ein bisschen zu viel Schwung rein. Aber ich bin trotzdem zufrieden, denn für mich waren die letzten zwei Tage nicht leicht, da ich doch die Ungewissheit hatte, ob man einen Reiterwechsel macht, nachdem ich im ersten Springen vier Abwürfe hatte. Ich dachte, jetzt muss ich es nochmal allen zeigen, deswegen war da heute auch mehr Mut dabei als in der ersten Runde.“
Die erste Springreiterin Österreichs bei Olympia konnte heute auch das Flair von Versailles genießen: „Beim Mannschaftsspringen habe ich versucht, die Atmosphäre gar nicht wahrzunehmen, um nicht nervös zu werden. Heute habe ich es aber voll wahrgenommen und beim Reinreiten einmal rundum geschaut. Ich dachte so viele sportbegeisterte Leute, die für einen mitfiebern, wdas haben wir selten.“
Für Colestus Cambridge hatte sie nur Lobeshymnen parat: „Er ist eigentlich ein Traumpferd, ich glaube für jeden. Solche Parcours hat er noch nie gesprungen und er hat das eigentlich beide Male sehr gut gemeistert. Wir können sehr viel von ihm erwarten.“
Auch Rhomberg war überrascht, wie groß das Medienecho an ihren Auftritten vor und in Paris war: „Ich habe das echt toll gefunden vor Olympia, dass man den Reitsport populärer machen wollte. Ich finde das sehr schön für den Sport, dass wir mehr junge Leute begeistern können. Gerade jetzt mit den negativen Schlagzeilen, die es vor den Spielen gab, sind wir froh, wenn unser Sport positiv präsentiert wird. Jeder soll sehen, wie toll der Sport ist und wie wichtig uns die Pferde sind.“
Begonnen hat der Tag für Team Austria mit einer kleinen Enttäuschung, als Gerfried Puck und Naxcel V. mit Startnummer 9 aus dem Parcours kamen, denn nach drei Abwürfen und 12 Fehlerpunkten war es klar, dass es mit einem Finalritt nichts wird. Unmittelbar im Anschluss bekannte Puck vor den Mikrofonen: „Die Enttäuschung ist groß. Es hat sich super angefühlt am Abreiteplatz und die ersten Sprünge waren auch gut. Beim Wasser gab es einen blauen Vorbau, das ist heute leider genauso gewesen wie am Anfang der Woche. Im ersten Springen war ich zu weit, dadurch damals der Fehler. Heute war ich eigentlich fast zu nahe dran, dann musste ich ein bisschen nach links ausgleichen, wodurch die Distanz zum Einsprung der Zweierkombination nicht mehr gepasst hat. Ich versuchte nun schneller zu reiten. In der Folge war ich am roten Steilsprung zu flach.“
Als auch die Stange beim Aussprung aus der Dreierkombination fiel war es den österreichischen Schlachtenbummlern klar, dass damit Gerfrieds Olympiachancen dahin sind. „Es kommt halt bei so einem Parcours immer auf Nuancen an, hinterher zu sagen, wenn du fünf machst, dann wäre es nicht passiert, ist natürlich immer einfach. Es ist, wie es ist.“
Sein Rückblick auf Versailles: „Gut, ich hätte gerne noch einen dritten Ritt gehabt oder einen vierten, aber das ist halt so bei Olympia. Mein Resümee ist, dass ich eigentlich von dem her mit dem Pferd sehr, sehr zufrieden das Gefühl habe, dass er das sehr einfach macht. Das gibt natürlich auch wieder Sicherheit für die nächsten Championate, die hoffentlich noch kommen. Unser nächstes Ziel ist das Weltcupfinale 2025, dafür gehen wir in den Qualifikation in den Emiraten, Saudi-Arabien und Katar.“
Alle Ergebnisse im Detail gibt es hier.
Blog: Olympiageflüster aus Versailles (11)
Auch wenn alle Augen in der Dressur-Kür auf Dalera und Wendy gerichtet waren, erregte eine noch nicht so bekannte Stute ebenfalls Aufmerksamkeit, wenngleich auch nicht im Kampf um Bronze, Silber und Gold. Aber die 80,075 % von Maxima Bella konnten sich schon sehen lassen, vor allem wenn man bedenkt, dass sie mit ihren acht Jahren das mit Abstand jüngste Dressurpferd in Versailles war. Geritten wird sie von der gebürtigen Litauerin Sandra Sysojeva, die seit Anfang dieses Jahres für Polen (wo sie ihren Stall hat) an den Start geht.
„Wir haben sie seit fünf Jahren bei uns, am Anfang hatte sie alle Unarten, die ein Pferd haben kann. Sie biss, schlug aus und Regenschirme war ein absolutes No-Go! Wir wollten sie schon verkaufen, aber das Vertrauen in sie zahlte sich aus, wenngleich ich mich natürlich schon noch steigern muss, um ganz vorne mitzureiten,“ gab sie im Interview ihre ehrgeizigen Zukunftspläne bekannt. „Es kamen auch schon verlockende Kaufangebote, aber sie bleibt auch weiterhin bei mir! Sie ist wie ein Wunderkind in der Schule, das nichts lernen muss und gleich auf die Uni gehen könnte. Sie ist schon als Grand Prix-Pferd geboren worden.“
Seitdem auch die Dressurpferde aus den Stallungen abgereist sind, ist der Trubel am Gelände und auch im Pressebereich geringer. Vor dem letzten Showdown im Einzelspringen heißt es ein wenig Durchatmen. Für die Fotografen gab es aufgrund des dichten Programmes den meisten Stress, der Output von 100.000 Fotos und mehr kann wahrscheinlich erst zu Hause nachbearbeitet werden. Für „unseren“ Fotografen Tomas Holcbecher brachte der gestrige freie Abend eine Fahrt ins Main Press Center mitten nach Paris, da er seinen Zimmerkollegen Stefan Lafrentz begleitete, dessen kaputtes Objektiv dort repariert werden musste. Ich selbst gönnte mir gestern nach der Medaillenentscheidung in der Dressur ein Timeout, fuhr zuerst nach Montmartre, um dort die beiden österreichischen Radfahrerinnen Christina Schweinberger und Olympiasiegerin Anna Kiesenhofer anzufeuern. Dann ging's zum Volleyballspiel Brasilien gegen Polen, wo ich inmitten der südamerikanischen Fans Sambafeeling erleben durfte!
Ernst Kopica