Ein Herz, eine Seele: Linda Kreuzeder und ihr Pony Miracoli © Margarethe Stich-König - maggyswildworld.com
Manche Pferde reitet man einfach. Man hat gemeinsam Spaß, verbringt eine schöne Zeit. Und dann gibt es Pferde, die einen fordern, an denen man wächst – und die einen nicht nur als Reiter, sondern auch als Mensch verändern und prägen. Für Linda Kreuzeder ist Miracoli ein solches Pferd. Ein Pony, das nicht einfach ein Trainingspartner, sondern ein ganzes Kapitel im Leben ist.
Das Schicksal kommt als Weihnachtsgeschenk
Sie waren ungefähr gleich alt, als ihr Weg begann: Linda neuneinhalb, Miracoli zehn. „Wenn man junge Reiter fördern möchte, braucht man etwas Eigenes“, hieß es damals im Stall. Und so entschieden sich ihre Eltern, vor allem Lindas Mutter, ihrer Tochter ein Pony zu kaufen. Es wurde Miracoli, ein kleiner schwarzer Wallach, laut Pedigree fürs Springen gezogen. Es war ein gut gemeinter Plan, aus dem eine Geschichte voller Umwege, Rückschläge, Triumphe und Wiederaufsteh-Momente wurde.
„Ich wollte ursprünglich springen. Doch dann hatte ich einen Sturz, und irgendwie war die Luft raus“, erzählt Linda. Gemeinsame Versuche, in der Dressur ein neues Zuhause zu finden, mündeten sogar in einer RD4. Doch so richtig wollte der Funke bei Kurzkehrt und Traversale nicht überspringen.
Stattdessen entzündete sich an einer anderen Front gleich ein ganzes Feuerwerk. In Lisas Stall stand ein Working-Equitation-Kurs auf dem Plan, und eine Bekannte schenkte Linda zu Weihnachten die Teilnahme – aus Dankbarkeit, weil sie regelmäßig und zuverlässig ihr Pferd bewegt hatte. „Die Veranstalterin meinte, das ist leiwand. Und ich dachte mir: okay, passt, mach ich halt mit.“ Was Linda zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnte: Dieses eine Wochenende im Jahr 2017 sollte ihr und Miracolis Leben entscheidend verändern.
Schon am ersten Kurstag erkannte Trainerin Sandra Migl, heute Bundesreferentin der Working Equitation, dass in diesem Paar Potenzial schlummert. Linda erkannte etwas anderes: Spaß, Begeisterung, echte Freude. „Es hat uns von der ersten Sekunde an voll getaugt“, sagt sie.
Working Equitation und Linda mit Miracoli passten von Anfang an zusammen wie Topf und Deckel. © privat
Noch im selben Jahr starteten Linda und Miracoli regelmäßig in der lizenzfreien Klasse bei den Hallencups am Zuckermantelhof. Es folgte die Aufnahme in den Jugendkader der Klasse L, zwei Jahre später die erste M. Nach der Covid-bedingten Turnierpause arbeitete sich das Paar mit der Unterstützung seiner langjährigen Trainerin Fiona Knödler zur Klasse S vor, bis es 2023 einen bemerkenswerten Erfolgslauf hinlegte, der in der Aufnahme in den österreichischen A-Kader gipfelte. „Working Equitation ist zu unserer großen Leidenschaft geworden“, sagt Linda, und man glaubt es ihr sofort.
Ein teuflisch guter Lehrmeister
Der Erfolgsweg der beiden liest sich in der Retrospektive geradlinig. Dabei war er alles andere als das. Ihn als herausfordernd zu bezeichnen, wäre eine grandiose Untertreibung. Denn Miracoli war nie ein „einfaches“ Pony. Kein gutmütiger Alltagsprofessor. Keiner, der von Natur aus nervenstark oder gelassen gewesen wäre. „Miracoli hat nicht das beste Nervenkostüm, es hat immer wieder Situationen gegeben, in denen er sich geschreckt hat. Das kann er auch heute noch. Wenn ich nicht schnell genug bin, macht er eine 180-Grad-Wendung am Stand und ist weg.“ Sprünge waren in den Anfängen der gemeinsamen Karriere stets mit einer anschließenden Buckeltirade verbunden. Manchmal auch mit Kontrollverlust.
Und wenn ich zurückblicke, weiß ich, dass uns unsere Schwierigkeiten, die ganzen Herausforderungen, im Endeffekt zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Sie haben uns stärker gemacht, aneinandergeschweißt.
Dass sie es mit ihrem Pony bis auf die größten internationalen Turniere schafft – für Linda früher unvorstellbar. © Lukas Ennsmann/LSW Pics
Es gab Turniere, nach denen sich Linda am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Etwa bei der Pferd International in München – vor vollem Haus. Da packte Miracoli beim Schließen des Tores im Speedtrail mal wieder seine „special effects“ aus und machte einen auf Drama, obwohl er das Hindernis im Training längst problemlos bewältigte. „Da ist mir nur durch den Kopf gegangen: Die Zuschauer müssen sich alle denken: Was macht die bloß? Ich wäre am liebsten im Boden versunken.“
In Momenten wie diesen stellte sich Linda oft die Frage: Warum tue ich mir das eigentlich an? Warum passiert das immer nur mir? „Ich habe die anderen Teilnehmerinnen, meine Kolleginnen, gesehen und mir gedacht: Bei denen läuft alles. Es ist so unfair! Aber irgendwann kam die Erkenntnis, dass auch bei den anderen nicht immer nur alles rund läuft. Und wenn ich zurückblicke, weiß ich, dass uns unsere Schwierigkeiten, die ganzen Herausforderungen, im Endeffekt zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Sie haben uns stärker gemacht, aneinandergeschweißt.“
Denn natürlich hat der in der Worker-Szene augenzwinkernd als „Little Black Devil“ (kleiner schwarzer Teufel) bekannte Miracoli auch seine guten Seiten. „Er hat mir immer das Gefühl gegeben, dass er auf seine Art trotzdem für mich kämpft. Dass er spürt, wie sehr mir die Working Equitation Spaß macht und dass er sich für mich darauf einlässt.“ Nicht dank Exterieur, Talent oder Rassemerkmalen, sondern dank Herz.
Allen Schwierigkeiten zurm Trotz hat Linda ihren "little black devil" und ihre Partnerschaft nie aufgegeben – und wurde reich dafür belohnt. © Marisa Rainer
Nah am Ende – und wieder zurück
Wie viel ihr all das bedeutet, wurde Linda in vollem Umfang bewusst, als plötzlich nichts mehr ging. Ausgerechnet nach ihrer Traumsaison zog sich Miracoli Anfang 2024 einen schweren Sehnenschaden zu. „Ich dachte: Jetzt ist alles vorbei. Ich wollte eigentlich gar nicht mehr in den Sport zurück, nur dass es ihm wieder besser geht.“ Es wurde besser. Die Reha verlief sogar so positiv, dass die beiden im selben Jahr im Ebreichspark ihre Rückkehr in den Sport feierten. „Dieses Comeback war unheimlich emotional. Dass er nochmal zurückkommt und wieder mit so viel Spaß ans Werk geht, das war mein absolutes Highlight.“
Dieses Beinahe-Aus und das überraschende Comeback waren aber noch etwas anderes: weitere wichtige Lektionen für Linda. Lektionen über den richtigen Moment und wann es Zeit ist, Abschied zu nehmen. „Miracoli wird 24, aber er ist topfit. Es gibt keinen physischen Grund, mit dem Sport aufzuhören. Aber ich wollte nicht warten, bis wir dazu gezwungen werden. Ich wollte, dass es ein bewusster Abschied ist. Und dass er schön ist.“
Und so verkündete Linda vor wenigen Wochen zum Saisonabschluss Miracolis Karriereende. Wieder im Ebreichspark, dem Ort ihres besonderen Comebacks, und im Kreis der Working-Equitation-Clique, die diesen Moment für Linda unvergesslich machte. Es floss mehr als eine Träne. „Ich habe mich oft gefragt, warum etwas, das so schön ist, trotzdem so weh tut. Aber 13 Jahre sind eine lange Zeit, und der ganze, auch schwierige Weg, der hinter uns liegt – das war rückblickend betrachtet sehr, sehr schön. Es ist nicht ganz einfach, das loszulassen.“
Miracolis Verabschiedung aus dem Sport - ein berührender Moment, den die Working-Equitation-Gemeinschaft gebührend zelebrierte © Lisa Ruehrig
Fürs Leben gelernt
Miracoli genießt nun seinen Ruhestand im Reitstall Denninger in Göllersdorf, seinem langjährigen Zuhause. Sein Alltag ist fast derselbe wie früher – nur ohne Turnierziel. Er wird geritten, geht ausreiten, hat Spaß. Nichts muss mehr. Alles darf.
Und Linda hat eine neue Aufgabe: einen jungen Lusitano, der einmal in große Hufspuren treten könnte. Die Unterschiede zwischen dem Pony und dem geborenen Working-Equitation-Pferd sind letztlich gar nicht so groß, findet die Physiotherapiestudentin. Der Junge ist noch etwas agiler und aufgeweckter, aber das schreibt Linda eher dem Altersunterschied zu. Davon abgesehen sei auch der Lusitano „ein bisschen zwischen Genie und Wahnsinn. Aber vielleicht liegt das ja auch an mir?“, schmunzelt sie.
Die Herausforderungen, die der Jungspund mit sich bringt, nimmt Linda mit einem Lächeln. Sie hat viel gelernt. Und sie weiß jetzt: Schwierigkeiten sind kein Defizit. Sie sind ein Lehrmeister.
Wenn sie zurückblickt auf ihren Werdegang mit Miracoli, dann gibt es Dinge, die sie heute anders machen würde. „Natürlich weiß ich heute mehr als vor 13 Jahren und habe vielleicht auch einen anderen Blick auf die Dinge.“ Eines würde sie aber ganz sicher wieder so machen: „Wenn ich jetzt vor der Wahl stünde, würde ich den Weg mit Miracoli noch einmal gehen. Er hat mich sehr viel gelehrt, nicht nur auf reiterlicher Ebene. Und er hat mir gezeigt, dass man nicht unbedingt das passende, sündhaft teure Pferd benötigt, um das zu erreichen, was man möchte. Die zehnjährige Linda hätte sich nie gedacht, dass sie einmal als Teil des österreichischen A-Kaders internationale Turniere reiten wird. Ich habe trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen meinen Traum gelebt und lebe ihn noch. Und das ist superschön.“
Linda weiß: Die Reiterin, die sie heute ist, wäre sie ohne Miracoli nicht geworden. Und vielleicht ist das am Ende die schönste Form von Erfolg: nicht, was man gewinnt, sondern wer man durch dieses Pferd geworden ist.
„Mindestens zehn meiner grauen Haare gehören diesem Pony!“
Sandra Migl, Bundesreferentin Working Equitation, über Linda und Miracoli
Als ich Linda und Miracoli beim ersten Trailkurs gesehen habe, war mein erster Gedanke: „Dieses Paar ist ein Dreamteam.“ Ich habe alles darangesetzt, Linda und ihre Eltern für unseren Sport zu begeistern. Was ich damals noch nicht wusste: Miracoli war nicht einfach nur das kleine, liebe, schwarze Pony. Er hat mich gelehrt, erst zu jubeln, wenn die Ziellinie tatsächlich überquert ist.
Unzählige Male stand ich gemeinsam mit Lindas Mutter Christine am Rand – beide käseweiß –, weil Miracoli immer eine Überraschung auf Lager hatte. Oft hatte ich den Eindruck, dass er uns anlachte, bevor er den nächsten Rodeosprung einbaute. Mindestens zehn meiner grauen Haare gehören diesem Pferd – und auch seiner Reiterin. Aber ich trage sie mit Stolz und Freude!
In den ersten Jahren habe ich Linda vor jedem Speedtrail gewarnt: „Nicht zu wild, nicht zu schnell – lieber ruhig bleiben!“ Sie hat mich angelächelt und gesagt: „Na sicher, Sandra, keine Sorge – ich hab das im Griff.“ Kaum waren die beiden durch die Startlinie, ging die Post ab. Christine stand daneben, schüttelte den Kopf und meinte nur: „Dieses Kind ist verrückt!“ – und ich sagte: „Ja, ich weiß, ich kann’s nicht ändern.“
Die Zuschauer hatten ihre helle Freude an uns. Doch Linda hatte immer recht: Sie konnte das Tempo perfekt einschätzen, reduzierte im richtigen Moment – moments before detonation – und Miracoli genoss es sichtlich, uns alle auf Trab zu halten.
Und wenn ich Linda auf Turnieren einmal gesucht habe und sie „verschollen“ war, lag sie meist in der Box neben ihrem Pony, beide friedlich schlafend. Rundherum konnte die Welt untergehen – sie hätten es nicht bemerkt.
Miracoli hat uns durch alle Höhen und Tiefen eines Sportlerlebens begleitet – manchmal alles gegeben, manchmal den Kasperl gespielt –, aber unterm Strich mehr erreicht, als wir alle je zu träumen gewagt hätten. Vom Trailkurs in Göllersdorf bis in den A-Kader des OEPS, eine unglaubliche Geschichte. Danke, Babsie Frühwirth, die uns die beiden vermittelt und ihr Potenzial erkannt hat.
Legendär bleibt auch mein Kniefall, als Linda in der ersten Masterklasse gestartet ist. Irgendwann hatte ich im Scherz gesagt: „Wenn du mal S reitest, geh ich bei der Siegerehrung vor dir auf die Knie.“ Einige Jahre später war es soweit, und ich habe natürlich Wort gehalten. (Gott sei Dank hatte ich nicht versprochen, nackt über den Platz zu laufen!)
Was soll ich sagen: Ich durfte mit den beiden eine unvergessliche Reise unternehmen. Freude, Tränen und Erfolg lagen oft dicht beieinander, und trotzdem haben sie es ganz nach oben geschafft. Nach Miracolis Verletzung ist für Linda die Welt zusammengebrochen, aber sie hat sich wieder aufgerappelt – und der kleine schwarze Ponymann hat uns alle erneut gelehrt, dass nichts unmöglich ist.
Erst vor Kurzem wurde er gebührend verabschiedet. Und wüsste ich es nicht besser, ich würde schwören, er hat mir zugezwinkert.