Das Reiten von tatsächlich runden Linien ist eine Herausforderung, die mit einer Mischung aus Praxis- und Mentaltraining leichter gelingt. © www.slawik.com
Der Zirkel ist ein Grundelement der Pferdegymnastik. Das Reiten auf größeren gebogenen Linien ist für junge oder weniger trainierte Pferde ebenso empfehlenswert wie für fortgeschrittenere Pferde in den Aufwärm- und Entspannungsphasen einer Trainingseinheit. Er erfordert ein noch recht geringes Maß an Längsbiegung, ist gelenkschonend und ermöglicht abwechselnd auf beiden Händen geritten, die Verbesserung der Geschmeidigkeit sowie die Dehnung und Kräftigung der Muskulatur des Pferdes in allen Grundgangarten.
Damit der gymnastizierende Effekt auch tatsächlich eintritt, kommt es darauf an, den Zirkel wirklich rund zu reiten. Pferde neigen jedoch dazu, der für sie anstrengenden permanenten Biegung durch stückweises Geradeauslaufen auszuweichen. Das hat zur Folge, dass viele der Zirkel, die man im Reiteralltag zu sehen bekommt, abgerundeten Vielecke oder bestenfalls unförmigen Eiern gleichen. Sie haben durchaus irgendwelche Rundungen, doch die Form verändert sich ständig und entspricht allem anderen als einem gleichmäßigen Kreis.
Auf solchen Pseudo-Zirkeln weichen Pferde immer wieder mit der Hinterhand aus, fallen auf einseitig auf eine Schulter, treten mit den Hinterbeinen breiter, als für die gewünschte Biegung gut ist und fußen nicht mehr unter den Schwerpunkt. Die nötige Flexibilisierung im Lendenbereich kann so nicht eintreten. Wie also gelingt der wirklich gymnastizierende Zirkel?
Hilfreich sind in diesem Zusammenhang Bilder, die dem Reiter die absolute Notwendigkeit des Einhaltens der Zirkellinie vor Augen führen.
Der kreisförmige Schwebebalken
Stellen Sie sich vor, Sie reiten in der Bahn und der Boden unter Ihrem Pferd hebt sich. Dabei wird er Zentimeter für Zentimeter zu einem großen, runden Schwebebalken. Dieser befindet sich schließlich etwa einen halben Meter über dem Reitplatzboden und ist gerade so breit, dass Ihr Pferd darauf zum Laufen zwei Hufe nebeneinander aufsetzen kann.
Was müssen Sie jetzt tun, damit Ihr Pferd nicht bei jedem Schritt mit einem Vorder- oder Hinterbein über den Rand hinaustritt? Wie kann es Ihnen gelingen, Runde um Runde auf dieser erhöhten Zirkellinie zu bleiben? Wieviel Spannung benötigen Sie dafür in Ihrem Körper? Was macht Ihre Rumpfmuskulatur, Ihr Becken, wohin sind Ihre Schultern ausgerichtet? Wie sieht es mit Ihrer Aufmerksamkeit aus? Geben Sie Ihre innere Spannung zwischendurch auf und überlassen Sie Ihrem Pferd die Aufgabe quasi allein, oder erhalten Sie sie dauerhaft aufrecht, um jederzeit alles dafür tun zu können, dass Sie und Ihr Pferd dort oben bleiben?
Wenn Sie das Bild vom kreisförmigen Schwebalken mit aufs Pferd nehmen, haben Sie eine genaue Vorstellung von einer wirklich runden Lektion im Gepäck, die Sie durch Ihren Sitz und Ihre Körperspannung auf die Bewegung Ihres Pferdes übertragen können. Das Pferd spürt eindeutig, dass Sie beide sich auf einem kreisförmigen Weg befinden, dem es folgen soll, auch wenn das anstrengend ist. Da Sie die direkte Konsequenz eines Abweichens von der Linie vor Ihren geistigen Augen habe – „Wir sollten unbedingt auf dem Schwebebalken bleiben“ – übermitteln Sie Ihrem Pferd viel klarer die Notwendigkeit, die Linie einzuhalten. Die Vorstellung lässt sie aufmerksamer und konzentrierter bleiben. Das hilft Ihnen, rechtzeitig zu verhindern, dass das Pferd durch Breitertreten mit den Hinterbeinen oder Verschieben der Schulter nach innen oder außen vom Weg abkommt.
Die Zirkeltonne
Für eine exakte Linieführung sollte man seine Wege vorausschauend und mit einer klaren Vorstellung vom Ziel planen, so, als würde man sie aus der Vogelperspektive "zeichnen". © www.slawik.com
Das Bild vom kreisförmigen Schwebebalken können Sie nun noch etwas ausbauen. Stellen Sie sich dazu vor, dass zusätzlich der äußere Zirkelrand, also die Außenkante Ihres Schwebebalkens, nach oben fährt, sodass Sie und Ihr Pferd auf dem Zirkel von einer glatten, festen Wand umgeben sind. Diese Wand ist gerade so hoch, dass Sie noch gut nach außen darüberblicken können.
Ihre Aufgabe ist es nun, ganz dich an der Innenseite der Wand entlangzureiten, wobei es darauf ankommt, dass Ihr äußeres Knie die Wand nie berührt. Wie muss es sich anfühlen, wenn Sie die Schultern des Pferdes immer ein kleines Stück in Richtung Zirkelmitte halten wollen, damit Sie auf jeden Fall weit genug weg von der Wand bleiben? Richten Sie Ihre Gedanken vollkommen auf die runde Linie aus. Für Ihr Gehirn gibt es dann nur noch diese eine Richtung, der Ihr Körper automatisch folgen wird – und Ihr Pferd wird das mit zunehmender Sicherheit auch tun.
Optische Hilfsmitte für gute Kreise
Zusätzlich können Sie vorübergehend mit sichtbaren Markierungspunkten arbeiten. Diese eignen sich bestens dazu, Ihre inneren Bilder zu unterstützen. Sie bekommen damit eine noch klarere Vorstellung von dem Weg, den Sie reiten möchten. Oft werden dafür Pylone oder Stangen verwendet, die in vielen Ställen vorhanden sind. Eine preisgünstige Alternative sind feste Plastikflaschen, die im Sand recht stabil stehen, wenn man sie mit Wasser auffüllt. Ebenfalls gut als optische Begrenzung geeignet und noch dazu leicht zu transportieren sind Schwimmnudeln. Mit ihnen können Sie nicht nur Punkte markieren, sondern gleich ganze Strecken vorzeichnen. Mit diesen „Reitnudeln“ können Sie rund ausgerichtete Gassen legen und sich so eine Art Schwebebalken markieren. Oder harken Sie sich Ihren Weg einfach in den Bahnsand und reiten Sie in nach. Werden Sie ruhig kreativ, es findet sich so einiges, was man als Markierung nutzen kann. Wichtig ist nur, dass davon keine Verletzungsgefahr für das Pferd ausgeht wenn es dagegenstößt.
Der magische Pfeil
Damit Ihre Zirkel richtig rund werden, müssen Sie sowohl die Vorhand als auch die Hinterhand des Pferdes auf der richtigen Spur halten. Für eine bessere Führung der Vorhand macht die Reitlehre den Vorschlag, das Pferd während einer gesamten Zirkelrunde in einem leichten bis deutlichen Schultervor (je nachdem ob die Schiefe gering oder ausgeprägt ist) zu halten. Hierbei, aber auch generell auf dem Zirkel ohne Schultervor, ist der magische Pfeil eine äußerst nützliche Vorstellung. Er hilft uns zu verinnerlichen, dass die angepeilte Richtung aus der Mitte des Pferdekörpers kommt. Das ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu dauerhaft guter Stellung und Biegung auf der runden Linie.
Zum Bild vom kreisförmigen Schwebebalken und der Zirkeltonne kommt nun also ein Pfeil, der mittig aus der Brust des Pferdes ragt. Er beginnt bereits tief im inneren der Pferdebrust, seine Sitze zeigt nach vorn und endet ein kleines Stück vor und unter dem Pferdemaul. Zugegeben, ein solcher Pfeil an dieser Stelle klingt erst mal nicht nach einer angenehmen Vorstellung, aber für den guten Zweck im Dienst der Gesundheit des Pferdes ist dieses Bild sicher akzeptabel.
Ist Ihnen die äußere Wand der Zirkeltonne noch präsent? Entlang dieser bewegen Sie sich nun und behalten in Gedanken Ihren magischen Pfeil im Blick. Was müssen Sie tun, damit sich dieser Pfeil niemals vor dem Pferd durch den äußeren Tonnenrand bohrt und dort steckenbleibt? Wie können Sie Ihre Bewegungen so ausrichten, dass der Pfeil immer ein Stück von Rand weg nach ihnen zeigt? Dieses Bild hilft Ihnen, weniger „aus der Form zu fallen“ und besser zu spüren, wie Sie Ihr Pferd in Form bringen.
Eine Alternative zum magischen Pferd ist die Vorstellung, dass Sie in einem Kanu um Kreis gleiten. Vielleicht können Sie sich mit diesem Bild gut vorstellen, mit welcher Körperbewegung Sie das Boot unter sich so um die Kurve lenken, dass es nicht abdriftet. Oder Sie finden noch weitere eigene Bilder. Probieren Sie aus, was für Sie passt. Wenn Sie das richtige Bild gefunden haben, wird es Ihnen und damit auch Ihrem Pferd dabei helfen, das richtige gemeinsame Bewegungsgefühl so zu verinnerlichen, dass Sie das Bild nur noch selten bewusst brauchen.
Ziel bei all dem ist, klarer mit dem Pferd zu kommunizieren, indem Sie unnötige Kommunikation vermeiden. Das gelingt, weil Sie Ihrem Pferd von vornherein Ihre Idealvorstellung der richtigen Biegung übertragen und ihm eine präzise Anleitung geben. Sie führen es auf einer exakten, formstabilen Kreisbahn. Das ist effektiver und auch motivierender, als zunächst mal „vor sich hin“ zu reiten und erst zu reagieren, wenn as Pferd einen Fehler macht. Die dann nötigen Korrekturen sind viel aufwendiger und führen auch leichter zu Missverständnissen.
Claudia Kusmanow
Buchtipp
Kreativ gegen schief -
Mittelzirkeltraining für mehr Harmonie zwischen Reiter und Pferd
Claudia Kusmanow, Cadmos Verlag
128 Seiten, 17 x 24 cm, durchgehend farbige Abbildungen, Softcover
UVP 19,90 EUR
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Das Reiten auf gebogenen Linien ist seit jeher ein probates Mittel für die Gymnastizierung unserer Pferde. In ihrem Buch gibt Claudia Kusmanow, Sportwissenschaftlerin, Reitwartin FN, ganzheitliche Pferdetrainingsberaterin und Mentaltrainerin, Reitern über die technischen Anleitungen der traditionellen Reitlehre hinaus inspirierende bildliche Vorstellungsmöglichkeiten an die Hand, um biegende Lektionen noch harmonischer reiten zu können. Die Autorin verbindet die reiterliche Praxis mit Methoden des Mentaltrainings. Mit einer Vielzahl innerer Bilder zeigt sie so einen effektiven Weg zur verbesserten Biegung, wobei das kreative Training auf dem Mittelzirkel eine zentrale Rolle spielt. Die vielfältigen und immer neu kombinierbaren Figuren ermöglichen es, „Schieflagen“ bei Reiter und Pferd auszugleichen. Das Ergebnis sind fließendere, geschmeidigere Bewegungen, mehr Motivation, Spaß und Gelassenheit beim Reiten und dadurch mehr Erfolg im Training. Ein rund um positiver Ansatz zur Verbesserung der Harmonie zwischen Reiter und Pferd.
Aus dem Inhalt
- Bewegende Bilder für motiviertes Reiten
- Ein Bild von einer guten Biegung
- Rund an Rund: Voltenkombinationen auf dem Mittelzirkel
- Gut kombiniert: kreative Trainingsideen auf dem Mittelzirkel – vom Lösen bis zur Versammlung