Ausrüstung

Getarnte Sicherheit: Was taugen Helmhüte?

Ein Artikel von Pamela Sladky | 24.11.2020 - 11:27
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Der klassische Dressurzylinder hat ab 1. Jänner 2021 auf internationalen turnieren und in Deutschland ausgedient. Alternativen zum Helm sind bereits in Entwicklung.
© holcbecher.com

Was in der Vielseitigkeit, im Springen und im Distanzreiten längst nicht mehr wegzudenken ist, wird auch in der Dressur und im Westernreiten ab 1. Jänner Pflicht: Gemeint ist das Tragen eines Sicherheitskopfschutzes. Ab diesem Zeitpunkt haben die gewohnten Dressurzylinder und Westernhüte auf FEI-Turnieren ausgedient. An ihre Stelle sollen Reithelme treten – oder gleichwertige Alternativen, sofern sie den Sicherheitsstandards entsprechen.

Für die Einführung einer allgemeinen Helmpflicht, seit der FEI Generalversammlung im November 2019 beschlossene Sache, erntete der Weltreiterverband international viel Lob. Aber nicht ausschließlich. So mancher Profi-Dressur- und -Westernreiter fühlt sich durch die neue Regelung entmündigt. Ab einem gewissen Niveau, so der Tenor, sei man schließlich in der Lage, allfällige Risiken selbst einzuschätzen und die für sich passenden Entscheidungen zu treffen.


Das Risiko reitet immer mit

Dass es ganz so einfach nicht ist und auch den Besten jederzeit etwas passieren kann, zeigt das Beispiel der amerikanische Dressurreiterin Courtney King-Dye. 2008 als jüngstes Mitglied Teil der US-Equipe bei den Olympischen Spielen in Hongkong, galt sie als aufsteigender Stern am Dressurhimmel mit einer glänzenden Zukunft im Sport. Kaum zwei Jahre später sah der Blick in die Zukunft denkbar düster aus. Am 3. März 2010 rutschte King-Dyes Pferd anlässlich des Palm Beach Derbys in Florida beim Abreiten mit der Hinterhand weg. Es war kein spektakulärer Sturz, kein wilder Galopp, der dem Ausrutscher vorangegangen war. Und doch reichte es, um das Leben der Dressurreiterin für immer zu verändern. Courtney King-Dye schlug hart mit dem Kopf auf und erlitt traumatische Hirnverletzungen. Fast einen Monat lang lag die damals 32-Jährige im künstlichen Tiefschlaf. Danach musste King-Dye von Grund auf neu sprechen und gehen lernen, bis heute lebt sie Tag für Tag mit den Folgen ihres Unfalls, eine Rückkehr in den aktiven Dressursport wird es für sie nicht mehr geben. Heute bedauert Courtney King-Dye, bei ihrem Unfall wie so oft ohne Helm geritten zu sein. Sie gilt inzwischen als eine der glühendsten Fürsprecherinnen für das Tragen eines Sicherheitskopfschutzes – im Hobby wie im Profisport. Wenn ihr Unfall etwas Gutes gehabt haben soll, so King-Dye, dann dass ihr Schicksal dazu beiträgt, vielen schweren Kopfverletzungen künftig durch konsequentes Helmtragen vorzubeugen.

Tatsächlich hat ihr Unfall in der Szene ein Umdenken bewirkt. Heute, zehn Jahre später, gehört der Helm für viele Dressurreiterinnen und -reiter wie Reithose und Stiefel zu den ständigen Begleitern auf dem Pferd. Immer häufiger wird der Zylinder durch eines der vielen modischen Helmmodelle ersetzt. Die Auswahl ist groß, den Kombinationen an Farben, Materialien und Designs sind praktisch keine Grenzen gesetzt.

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Reitet immer mit Helm: Charlotte Dujardin © Tomas Holcbecher

Nicht ohne meinen Helm

Ohne Reithelm auf dem Kopf steigt Olympiasiegerin Charlotte Dujardin aus Prinzip nicht aufs Pferd. Und das aus gutem Grund.

2012 ritt Charlotte Dujardin bei den Olympischen Spielen in London mit ihrem Ausnahmepferd Valegro zu zwei Goldmedaillen. Ihre Siege waren gleich in zweierlei Hinsicht historisch: Zum einen hatte Dujardin mit ihrem Ausnahmepferd einen neuen Wertungsrekord in der Grand Prix Kür aufgestellt. Zum anderen war sie die erste behelmte Medaillengewinnerin eines olympischen Dressurbewerbs. Der markante Charles-Owen-Helm in den Farben des Union Jack ist seither längst zu Dujardins Markenzeichen geworden. Dass man die Britin nie ohne Reithelm auf dem Pferd sieht, hat aber einen anderen Grund, als einen guten Sponsorenvertrag: Auch die dreifache Olympiasiegerin hatte vor einigen Jahren bei einem Reitunfall ohne Helm einen Schädelbruch erlitten. Seither fühlt sie sich ohne Sicherheitskopfschutz einfach nicht mehr wohl auf dem Pferderücken. „Ich habe Glück gehabt, dass ich ohne gröbere Probleme davongekommen bin. Jetzt trage ich immer einen Helm. Ich habe schließlich nur einen Kopf.“

Sicher behütet

Trotzdem gibt es nach wie vor viele eingeschworene Traditionalisten, für die der Dressurzylinder – oder der Westernhut – ein unverzichtbarer Teil des Images ihres Sports ist. Für sie haben findige Menschen den Versuch einer Kombination gewagt: traditioneller Look mit schützendem Innenleben.

Einer von ihnen ist Kurt Jelinek. 2017 unternahm der Salzburger einen Wanderritt quer durch Sizilien. Für die Teilnehmer war das Tragen eines Reithelms verpflichtend vorgeschrieben, was der Gruppe wenig Freude bereitete. „Bei Regen lief einem das Wasser direkt den Rücken hinunter, kam doch mal die Sonne heraus, war Sonnenbrand programmiert. Ein jämmerlicher Zustand, für jeden einzelnen von uns“, erinnert sich Jelinek.

Zurück in Salzburg begann er seine Internetrecherche nach einem authentisch aussehenden, bequemen Hut mit integriertem Kopfschutz. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus. Gängige Schutzschalen aus Polyester-Verbundmaterial, die unter einem übergroßen Hut versteckt werden, kamen als Alternative nicht in Frage. „Die Schutzschale entspricht nicht der Reithelm EN-Norm. Bei starkem Wind oder im Galopp geht außerdem regelmäßig der aufgestülpte Hut verloren, weil er nicht mit der Schutzschale verbunden ist.“

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Westernhut mit sicherem Inneleben Marke Kurt Jelinek © www.rookie.co.at

Auch die amerikanische Variante eines Hutes mit integriertem Helm erwies sich nicht als das Gelbe vom Ei. Zu groß, zu unförmig, dazu billig in der Ausführung und nur zwei Modelle zur Auswahl. Kurt Jelinek beschloss, die Fertigung selbst in die Hand zu nehmen. „Meine Idee war, in Wanderreithüte und Westernhüte bekannter Hutmarken einen Kopfschutz zu integrieren.“ Gesagt, getan. Viele Monate tüftelte der Salzburger an Konzeption, Design und Umsetzung. Vor allem die Erfüllung der aktuellen Sicherheitsnorm für Reithelme EN 1384:2017 erwies sich als große Herausforderung. In Zusammenarbeit mit der Firma Formicum Leipzig und der Universität Leipzig entstand letztlich eine Helmschale, mit der sich Wanderreit-, Westernhüte und Dressurzylinder in einen Sicherheitskopfschutz verwandeln lassen. Ergänzt um einen ebenfalls getesteten Kinnriemen aus Leder soll dieser letztlich alle erforderlichen Sicherheitskriterien erfüllen. Eine unabhängige Überprüfung der EN-Norm soll noch vor Januar 2021 erfolgen. Sofern sie positiv ausfällt, wären die Sicherheitskopfbedeckungen auch für den Einsatz auf FEI-Turnieren zugelassen.

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Beim sicheren Dressurzylinder ist der Kinnriemen Pflicht. © www.rookie.co.at

Und wie kommt so ein Helm-Hut bei den Profis an? Auf unsere Bitte hin hat Dressurreiterin Luise Wessely-Trupp einen von Jelineks Prototypen einem Praxistest unterzogen. Die Niederösterreicherin gilt als eingeschworener Zylinder-Fan – aus traditionellen und optischen Gründen, wie sie verrät. Gerade die Optik ist es auch, warum der Helm-Zylinder nicht so ganz den Geschmack der Ausbilderin trifft. Durch die integrierte Sicherheitsschale fällt der Hut voluminöser aus als viele handelsübliche Modelle. Wer einmal den britischen Vielseitigkeitsreiter William Fox-Pitt im Dressurbewerb gesehen hat, kennt den gewöhnungsbedürftigen Anblick, den ein XXL-Zylinder beim Reiten bietet.

Gewöhnungsbedürftig ist für Wessely-Trupp auch der integrierte Kinnriemen. „Für mich passen Kinnriemen und Hut optisch einfach nicht zusammen, das nimmt dem Zylinder schlicht die Eleganz“, meint die bis Grand-Prix erfolgreiche Reiterin. Kurt Jelinek kann sich vorstellen, dieses Problem mit einem Kinnriemen aus möglichst transparentem Material beizukommen um das Gesamterscheinungsbild eleganter zu gestalten. Für Luise Wessely-Trupp bleibt damit vorerst der Reithelm die erste Option.

Österreich zieht (noch) nicht nach

Ihren gewohnten Zylinder muss Wessely-Trupp deswegen aber noch nicht einmotten. Und auch für Westernreiter ist es zu früh, den Hut an den Nagel zu hängen. Denn auf nationaler Ebene bleibt alles beim Alten. Zumindest vorerst. Für Dressurreiter*innen über 25 Jahren und ab Klasse LM gibt es deshalb auch nach dem 1. Jänner 2021 die Wahlmöglichkeit zwischen Hut und Helm. Und das ist gut so, findet Dressurreferentin Diana Wünschek: „Ich bin der Meinung, dass vor allem Grand-Prix-Reiter selbst entscheiden können sollten. Wer so weit gekommen ist, kann sich und sein Pferd aller Regel nach auch gut einschätzen. Letztlich gibt auch ein Helm keine Garantie, dass man bei einem Sturz unversehrt bleibt“, meint Wünschek.

Ähnlich sieht das Western-Referent Gerold Dautzenberg. „Bei der Jugend bin ich ganz strikt für eine Helmpflicht. Die haben wir derzeit auch in der der Österreichischen Turnierordnung verankert.“ Derzeit gilt für Jugendliche- und Junioren-Westernreiter Helmpflicht, sobald sie aufs Pferd steigen, Reitern über 18 Jahren wird der Helm zwar empfohlen, verpflichtend ist er aber nicht. Auch daran wird einstweilen nicht gerüttelt. Sollte es anders kommen, sieht Dautzenberg keine Probleme. Bei den älteren Reitern gebe es derzeit zwar kaum Athleten, die im Bewerb auf einen Sicherheitskopfschutz setzen, sollte die Helmpflicht aber auch auf nationaler Ebene kommen, werde man sich dieser Entscheidung freilich fügen.

Noch ist beim OEPS das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen. Zumindest bis es hier eine endgültige Entscheidung gibt, bleiben uns Westernhüte und Dressurzylinder auf Österreichs Turnierplätzen auch weiterhin erhalten.

Deutschland passt LPO an

Anders sieht es in Deutschland aus. Im Zuge der FN-Tagungen, die in diesem Jahr virtuell stattfinden mussten, hat der Beirat Sport der Deutschen FN entschieden, die Leistungs-Prüfungs-Ordnung gemäß dem neuen FEI-Reglement anzupassen. Ab 2021 schreibt § 68 vor, dass das Tragen eines Reithelms nicht nur im Springen und bei Geländeritten, sondern auch in der Dressur in allen Altersklassen Pflicht ist. Der klassische Dressurzylinder hat damit auf deutschen Turnierplätzen tatsächlich ausgedient - sofern sich in seinem Innenleben nicht ein zertifizierter Sicherheitskopfschutz verbirgt.