Ausrüstung

Grip-Reithosen: Zu fest im Sattel

Ein Artikel von Margarete Donner | 09.03.2023 - 11:50
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Die meisten der befragten Reiterinnen sind sich einig: Mit Grip klebt man mehr am Sattel, was aber nicht alle schätzen. Auch leidet der Sattel darunter. © www.Slawik.com

Kaum war das Thema „Pro und contra Reithosen mit Grip-Besatz“ auf unserer Facebook- Seite online, langten hunderte Kommentare mit äußerst kontroversen Meinungen ein. Grund genug, sich einmal genauer anzusehen, welche Hosenbesätze auf dem Markt sind, was sie können und ob sich das Angebot mit den Wünschen der Endkund:innen deckt.  
 

Grip-Revolution

Die Entwicklung auf dem Reithosenmarkt nahm in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Tempo auf: Während Reiter:innen jenseits der 50 in ihrer Jugend gerade einmal zwischen Vollbesatz oder Kniebesatz in Leder entscheiden konnten, war für die nächste Generation eine große Auswahl an Hosen mit Kunstlederbesatz bereits selbstverständlich. Und ab dem Jahr 2016 revolutionierten Reithosen mit Grip auch hierzulande die Reiterwelt.  

Beschleunigt wurde der Siegeszug der mit Silikon oder Polyurethan beschichteten Beinkleidung durch die wachsende Beliebtheit von elastischen Reitleggings, die ausschließlich mit Grip produziert werden können. Inzwischen nehmen Grip-Reithosen fast die gesamten Kleiderstangen in den Reitsportgeschäften ein, während man andere Modelle oft wie die Nadel im Heuhaufen suchen muss. Dass dieses Angebot nicht unbedingt die Nachfrage der Kund:innen widerspiegelt, zeigt unsere Umfrage: „Keine Grip- Reithosen! Kleben zu viel und machen den Sattel kaputt. Es geht nichts über die guten alten Vollbesatzhosen, nur bekommt man die kaum mehr.“ Unzählige Online-Kommentare bedauern die geringe Auswahl an Alternativen zum Silikon- Besatz. Gibt es die überhaupt noch? Und wo liegen die Stärken und Schwächen der verschiedenen Besatzarten?
 

Sitz und Beweglichkeit  

Ihren Träger:innen einen optimalen Halt im Sattel zu bieten, ist wohl die wichtigste Aufgabe von Reithosen. Denn wer haltlos im Sattel umherrutscht, fühlt sich unsicher und beginnt zu klammern. Leder- sowie Kunstlederbesätze werden dieser Anforderung seit Jahrzehnten gerecht. Der Umkehrschluss jedoch, dass der Besatz umso besser sei, je intensiver Gesäß und Oberschenkel am Sattel haften, erwies sich als Trugschluss.  

Wird von Reiter:innen verlangt, sie hätten im Sattel zu „kleben“, sollte das nicht zu wörtlich genommen werden. Wer einen ruhigen Sitz auf einem Pferd in Bewegung haben will, muss jedes Auf und Ab des Pferderückens flexibel mitmachen. Unzählige kleine Bewegungen in Hüfte, Gesäß und Oberschenkeln garantieren jene perfekte Haltung, die – von außen – wie mit dem Pferd verwachsen erscheint. Die meisten Grip-Besätze machen aber genau diese Mikrobewegungen unmöglich. Daher bemängelten zahlreiche Leser:innen die ungünstigen Eigenschaften von Grip für einen geschmeidigen Sitz. Zudem gäbe es laut Trainer:innen Probleme mit Haltungskorrekturen, weil an der Berührungsfläche zum Sattel kaum Bewegungsmöglichkeit gegeben sei.

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Reitleggings sind aufgrund ihres hohen Tragekomforts besonders beliebt. Der Besatz stellt die Hersteller allerdings vor eine Herausforderung. Das österreichische Unternehmen Edelross setzt anstelle des üblichen Grip-Besatzes auf eine Alternative aus Polyurethan und Polyester. © Luise Wessely

Das Festkleben führte bei manchen Reiter:innen sogar zu unangenehmen Scheuerstellen oder Brandwunden auf der Haut. Dass sich ein Springreiter beim Training gänzlich von seiner Hose trennte, die haften blieb, als er das Gesäß aus dem Sattel hob, zählt hier wohl noch zu den harmloseren unerwünschten Nebenwirkungen.

Das deutsche Pferdesportmagazin CAVALLO testete im 2021, wie sich Hosen mit verschiedenen Besatzarten in der Praxis auf den reiterlichen Sitz auswirken. Dabei lagen die Modelle mit Kunstlederbesatz sowie Wildlederimitat klar vorne – sie boten die beste Kombination aus Haftung und Beweglichkeit im Sattel. Allerdings gab es zwischen den beiden Testmodellen mit Grip-Besatz spürbare Unterschiede: Der Besatz aus Silikon erlaubte keinerlei Ausgleichsbewegungen und blieb sogar beim Leichttraben unangenehm am Sattel kleben.

Beim Polyurethanbesatz der PIKEUR-Hose war der Reibungswiderstand hingegen deutlich weniger störend. Dazu meint Carolin Strootmann, Produktmanagerin bei PIKEUR: „Unser Grip hat die optimale Rutschwirkung, und wir sind selbstbewusst und überzeugt, dass bei unseren Modellen keine Beschädigung des Sattels passiert.“
 

Schonung des Sattels

Unter der verstärkten Reibung leidet nämlich nicht nur die menschliche Haut, auch das Sattelleder bleibt davon meist nicht unberührt. „Unsere in Deutschland von Hand hergestellten Sättel sind so konzipiert, dass sie viele Jahre Freude machen – der in Mode gekommene Silikon- Grip an den Reiterhosen wirkt jedoch wie ein Radiergummi und kann das Leder des Sattels schnell dünn scheuern, sodass dieser für einen hohen Kostenaufwand neu bespannt werden muss.“ Warnungen – wie diese von Iberosattel – inklusive Haftungsausschluss finden sich inzwischen immer öfter auf den Websites und in den Vertragsbedingungen bekannter Sattelhersteller. Die Sattler:innen Günther Keglovits, Fritz Strasser von 3s-Sattel und Theresa Stern können diese Vorbehalte nur unisono bestätigen. „Früher gab es in der Sitzfläche fast keine Falten, jetzt gibt es durch die Grip- Reithosen Faltenbildung, die Sitzflächen werden wellig, und das Leder ist schneller durchgewetzt“, so Strasser. Er hält einen Lederbesatz auf Reithosen für den besten Gegenpart zum Ledersattel.

Darüber hinaus werden die Sattler: innen in den letzten Jahren immer öfter mit körperlichen Problemen konfrontiert, die zuerst einmal dem Sattel zugeschrieben werden. Günther Keglovits erzählt von Kundinnen, die sich wegen Ekzemen am Gesäß über den Sattel beschweren. Geht er dem Thema dann auf den Grund, entpuppt sich der Grip-Besatz als der wahre Übeltäter: „Wenn die Hose am Leder klebt, das Becken sich aber dennoch bewegt, führt das häufig zu Hautproblemen.“

Einig sind sich jedoch alle drei, dass es zwischen den Grip-Reithosen Qualitätsunterschiede gibt und nicht alle Modelle gleichermaßen zu Abrieb am Sattelleder führen. Auch hier wird einhellig vor dem aufgesetzten, kostengünstigen Silikongrip gewarnt, der nicht in den Stoff eingearbeitet wurde. „Viele Freizeitreiter sparen sehr lange, um sich einen superfeinen Sattel zu leisten“, gibt Theresa Stern zu bedenken, „und dann zerstören sie ihn in kurzer Zeit mit der günstigen Reithose.“

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Hochwertige Grip-Reithosen haben einen Besatz aus Polyurethan-Grip, der für bessere Reiteigenschaften und höhere Haltbarkeit sorgt. Im Bild die Reithose Liz Grip von Cavallo
© Cavallo

Mangelnde Haltbarkeit

Für die Hersteller sind Grip-Reithosen einfacher und kostengünstiger zu produzieren, da nicht zwei Materialien miteinander vernäht werden müssen, die über eine unterschiedliche Elastizität verfügen. Stattdessen wird der Grip flüssig in unterschiedlichen Mustern aufgetragen, und die Qualität variiert je nach Material und Verankerung im Untergrund. Dieser Pluspunkt bei der Verarbeitung, der auch angenehmere Passformen ermöglicht, schlägt sich dafür bei der Haltbarkeit des Besatzes eher negativ zu Buche. Um die verschiedenen Hosenbesätze einer Belastungsprobe zu unterziehen, schickte das Pferdefachmagazin CAVALLO ausgewählte Modelle zum Scheuertest ins Labor. Dort stellte sich heraus, dass bei Grip-Besätzen viel schneller tote Hose war als bei herkömmlichem Kunstlederbesatz. Nach dem Test zeigte sich die Hälfte der Proben mit Grip komplett blankgescheuert, der Rest war großflächig abgescheuert. Unter den Grip-Reithosen schnitten die Modelle von PIKEUR und Cavallo am besten ab, die mit Polyurethan anstelle von Silikon beschichtet waren und mit dem milden Urteil „angescheuert“ bewertet wurden.

Selbst Produzenten und Händler geben gerne zu, dass in Sachen Haltbarkeit nichts über Leder- oder Kunstlederbesatz geht, während die Grip-Hosen im Gegenzug mit Komfort und schickem Aussehen überzeugen.


Passform und Design

Unverwüstlich waren sie, die alten Reithosen mit Lederbesatz, und bei nicht mehr ganz jungen Reiter:innen liegt fallweise noch das eine oder andere Erinnerungsstück seit Jahrzehnten voll einsatzfähig im Schrank. Doch sie verlangten divenhaft nach intensiver Pflege, weil ansonsten das Leder nach jedem Waschgang härter und bockiger wurde – von elastisch keine Spur. Besser präsentieren sich da schon die Kunstlederbesätze, allerdings verlieren auch diese mit dem Tragen und Waschen nach und nach ihre ursprüngliche Form und zeigen unschöne Falten und Ausbuchtungen. Hier haben die Grip- Hosen ihren glanzvollen Auftritt: Durch das punktuelle Auftragen der haftenden Muster und Motive auf ein durchgehend elastisches Material bleiben sie dauerhaft formschön und eng anliegend. Zwar outeten sich bei unserer Umfrage nur rund ein Fünftel der Leser:innen als Grip-Fans, doch die meisten positiven Stellungnahmen bezogen sich auf Komfort und Aussehen. So argumentiert eine Reiterin auf Facebook: „In meinem Fall ist die Passform ausschlaggebend. Unabhängigkeit von Marke und Modell sitzen sie deutlich besser und sind somit angenehmer zu tragen.“

Vor allem bei der modebewussten Jugend erfreuen sich Reitleggings großer Beliebtheit – sie sind leicht, bequem und bieten den ultimativen Glitzer- und Glamour-Faktor. Denn beim Design haben unbestritten die Grip- Modelle die Nase vorne. Während Reithosen mit Kunstleder oder Leder oft in klassischer Schnittführung auf den Ladentisch kommen, sind die Ausführung, Farbgebung und Ausstattung der Hosen mit Grip weitaus moderner und vielfältiger. Auch Handy-Taschen fanden sich erstmals auf Grip- Modellen – heutzutage bei weitem nicht nur für Jugendliche ein Kaufanreiz. Zudem ist die angebotene Materialvielfalt bei Hosen mit Grip-Besatz – angefangen von atmungsaktiven Sommerstoffen bis zu Softshellversionen für die kalte Jahreszeit – nahezu unbegrenzt. Selbst Reiter:innen, die nicht gerne mit Silikongrip in den Sattel steigen, nutzen die bequemen Hosen mit Begeisterung für die Stallarbeit.

Trendwende in Sicht?

Dass trotz wachsender Kritik das Geschäft mit den Silikon- und Polyurethanbesätzen so gut läuft, sei unter anderem auf die Preisgestaltung zurückzuführen, erklärt Michaela Bernold, Geschäftsführerin von EQUIVA Austria. Viele Kund:innen wären nicht mehr bereit, einen realistischen Betrag für eine hochqualitative Reithose mit McCrown-Besatz zu bezahlen. Auch Lisanne Bodamer, Marketing Coordinator bei Krämer, und Bruno Mautner, Produktverantwortlicher bei Kerbl-Austria, bestätigen den nach wie vor hohen Absatz an Grip-Hosen. Dadurch beißt sich die Stallkatze in den Schwanz: Die Hersteller der großen Marken sehen sich in ihrem Fokus auf Grip-Besatz durch die Verkaufszahlen bestätigt, alternative Angebote werden in geringerer Anzahl und Designvielfalt produziert und bleiben dadurch teurer und weniger attraktiv. Dennoch nimmt Michaela Bernold ein Umdenken wahr: „Der Trend zur Grip-Hose – vor einigen Jahren nicht aufzuhalten – erscheint derzeit rückläufig, und es gibt immer wieder Anfragen nach Kunstlederbesatz.“

Mancher Trend, den die Grip-Hosen setzten, wurde bereits für die aktuellen Kunstledermodelle adaptiert, weshalb man sich in der Frühjahrskollektion von EQUIVA auf Hosen mit Kunstlederbesatz und Handytasche freuen darf. Bernold prognostiziert für die Zukunft ein Mix-Angebot aus beiden Alternativen. So wird bei euro-star inzwischen jedes Modell sowohl mit Kunstleder- als auch mit Grip-Besatz angeboten, bestätigt Fabienne Cézanne, Marketing Manager bei HV EQUESTRIAN.

Wer bei den großen Anbietern trotz allem nicht die passende Beinkleidung findet, dem bleibt immer noch der Griff zu Hosen von weniger bekannten alternativen Labels.



Alternativen mit Pfiff

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Lookri-Wanderreithose jay-ou mit Kunstlederbesatz und sechs Taschen © Firma Heinz-Thomas Seiler

Einige kleinere Anbieter sind aus Überzeugung gar nicht auf den Trend zur Silikon-Beschichtung aufgesprungen. Sie haben ihre eigenen Lösungen entwickelt, die sich durchaus sehen und vor allem tragen lassen können. Christine Seiler von Lookri schwört auf Clarino™-Kunstleder: „Es pillt nicht, ist pflegeleicht und lange haltbar.“ Die Seiler-Reithosen aus Deutschland gibt es gegen einen Aufpreis von 25 Euro nach Maß, sie sind OEKO-TEX-zertifiziert und hautfreundlich. Das hochwertige Material sei natürlich teurer, so Seiler, doch ihr Unternehmen hätte dadurch keine Reklamationen und viele Berufsreiter als Kund:innen. Heinz- Thomas Seiler, Geschäftsführer und Maßschneidermeister, wird nicht müde, sein Sortiment mit kreativen Ideen zu verbessern: Die Wanderreithose jayou in mehreren Farbkombinationen beeindruckt mit ganzen sechs praktischen Hosentaschen, in denen neben dem Handy auch Verpflegung oder das Erste-Hilfe-Set Platz finden.

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Innovativ: Reithose von goodfellow mit Patches-Besatz in Echtleder © goodfellow GmbH

Unzufrieden mit dem herkömmlichen Grip-Angebot fragte sich Monika Plattner, Geschäftsführerin der österreichischen Marke Edelross: „Warum gibt es auf dem Markt nichts Neues?“ Nach eineinhalb Jahren Suche nach dem optimalen Material wurde sie in den USA fündig und entwickelte einen Besatz aus Polyurethan und Polyester, „der sich seidig weich anfühlt, im Sattel rutschfest ist und perfekte Rücksprungwerte hat.“ Ihre elastischen Reitpants namens „Augenweide“ gibt es in sechs Farben, natürlich mit Handytasche und optional mit persönlicher Bestickung. Die Hose verspricht jedenfalls Komfort für jede Reiter:innenfigur: „Ich bin dir nicht böse, wenn du mal zu viele Kekse gegessen hast!“

Wer nach hochwertigen Lederbesatz- Hosen mit innovativem Design sucht, ist bei goodfellow gut aufgehoben. Nun hat sich Geschäftsführer Rainer Forstner allerdings an ein besonders spannendes Projekt herangewagt: Überzeugt von den überragenden Qualitäten von Echtleder im Sattel und begeistert von der Elastizität von Grip-Hosen, schuf der Hersteller einen elastischen Lederbesatz, der die positiven Eigenschaften beider Materialien vereint. „Elast“ ist pflegeleicht, sattelschonend, atmungsaktiv, haltbar und nachhaltiger als viele Konkurrenzprodukte.

Der Besatz wurde bereits zum Innovationspreis der Equitana angemeldet, denn Rainer Forstner hat sich vorgenommen, „die Besatzthematik zu evolutionieren.“ Man darf gespannt sein, ob ihm diese Gegenrevolution gelingt!