Ausbildung

Aufgewärmt besser reiten: Mit diesen Übungen gelingt's

Ein Artikel von Pamela Sladky | 23.11.2011 - 08:46
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Ist der innere Schweinehund erstmal überwunden, werden Sie schnell feststellen: Bewegung macht Spaß!. © PS

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass sich der moderne Mensch viel zu wenig bewegt. Stundenlanges Sitzen vor dem Computer und lange Autofahrten gehören heute zu unserem Alltag. Entspannt wird auf dem Sofa, vor dem Fernsehapparat. Zeit für Ausgleichssport nehmen sich die wenigsten. Als Folgen drohen Muskelverspannungen, Bänderverkürzungen und der allgemeine Verlust von Beweglichkeit, häufig begleitet von Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich und Rückenproblemen.

Im Gegensatz zu anderen Sportarten, bei denen es in der Regel vor allem auf Kraft, Schnelligkeit und/oder Ausdauer ankommt, ist Reiten in erster Linie ein koordinativer Sport, bei dem ein harmonisches und leichtes Zusammenspiel mit dem Pferd an erster Stelle steht. Die Basis hierfür bildet der ausbalancierte und geschmeidige Sitz des Reiters/der Reiterin. Steifheiten und Verspannungen sind die größten Feinde auf dem Weg zum harmonischen Miteinander. Damit sich der Mensch auf dem Pferd gefühlvoll bewegen kann, bedarf es deshalb einer gezielten Vorbereitung. Das gilt nicht nur für den Turnierreiter, sondern auch für den Freizeitreiter, der meist nur eine Stunde am Tag – wenn überhaupt – auf dem Pferderücken verbringt.

Aufwärmen für Reiter ein Tabu?

Ein bedeutsamer Schritt in Richtung geschmeidiger Sitz zu Pferd ist das richtige Aufwärmtraining. In fast jeder Sportart beginnt man mit ein paar Übungen, um den Körper auf die bevorstehenden Anforderungen vorzubereiten. Nicht so beim Reiten. Da heißt es meistens aufsitzen und losreiten. Während das Pferd mindestens zehn Minuten warmgeritten wird, bevor es mit dem eigentlichen Training losgeht, macht der Reiter einen Kaltstart. Mit allen negativen Auswirkungen für den eigenen Körper und jenen des Pferdes.

Dabei bedarf es nur einiger weniger Minuten, um sich selbst in Schwung zu bringen. Systematisches Aufwärmtraining bewirkt einen Anstieg der Körpertemperatur, sorgt für eine bessere Durchblutung und hilft, die Muskeln zu lockern und die Mobilität der Gelenke zu erhöhen. Derart vorbereitet, ist nicht nur der Körper leistungsbereiter, auch der Geist wird wacher und ist in der Lage, schneller zu reagieren – eine Fähigkeit, der gerade beim Reiten eine wesentliche Bedeutung zukommt.

Wie lange das Aufwärmtraining dauern sollte, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Fakt ist: wer sich täglich vor dem Reiten warmturnt, benötigt nach und nach immer weniger Zeit für die Vorbereitung, weil sich sein Gesamtzustand positiv angepasst hat. Doch auch die Außentemperatur hat Auswirkungen auf die Aufwärmdauer: Während sie im Sommer bei warmen Temperaturen kürzer ausfallen kann, braucht der Körper bei Regen und Kälte deutlich länger, um auf Betriebstemperatur zu kommen.

So machen Sie sich locker

Zu Beginn des Aufwärmtrainings steht einfache Laufgymnastik auf dem Plan. Sie bringt das Herz-Kreislauf-System in Schwung und die Körpertemperatur allmählich ans Optimum. Außerdem wirkt sie sich positiv auf die Atmung sowie die allgemeine Vorbereitung des Kapsel-, Band-, Sehnen- und Knorpelgewebes aus. Laufen Sie in alle Richtungen (vorwärts, rückwärts, zur Seite, schräg nach vorne) um möglichst viele Muskeln unterschiedlich zu beanspruchen. Auch Hopserlauf und Sprunglauf (von links nach rechts springen, dabei die Schritte über die normale Länge ziehen), Skippings (Kniehebelauf, Oberschenkel parallel zum Boden), Anfersen (Fersen in Richtung Gesäß bringen) sowie ein- und beidbeiniges Hüpfen sollten in dieser Phase Mittel der Wahl sein.

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Laufgymnastik bringt das Herz-Kreislauf-System in Schwung und die Körpertemperatur allmählich ans Optimum. © PS

Mit kinesiologischen Übungen zu verbesserter Koordination

Um die Ganzkörperkoordination zu verbessern, helfen cross-koordinative Übungen. Sie optimieren das Gleichgewicht zwischen beiden Körperseiten – ein wichtiger Baustein für den ausbalancierten Sitz und eine ausgewogene Hilfengebung. Überkreuzbewegungen werden mit entgegengesetztem Drehmoment ausgeführt. Bewegen Sie dazu abwechselnd einen Arm und das entgegengesetzte Bein. Die Hand soll mehrmals zum gegenüberliegenden Knie geführt werden, um die Körpermittellinie zu überqueren. Dies kann sowohl vor, als auch hinter dem Körper geschehen.

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Überkreuzbewegungen verbessern die Ganzkörperkoordination. © PS

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Verbessern Sie mit Hilfe von cross-koorindativen Bewegungen das Gleichgewicht zwischen Ihren beiden Körperseiten. © PS

Hals- und Nackenbereich lösen

Neigen Sie in diesem Bereich zu Verspannungen, können Sie sie mit einfachen Handgriffen selbst lockern. Massieren sie hierfür mit Ring-, Mittel- und Zeigefingern beider Hände die Stelle zwischen Schädel und erstem Halswirbel (Okzipitalgelenk).

Auch eine Massage der Schädelknochen sorgt für Entspannung. Weil dieser Bereich durch falsche Drehbewegungen meist stark verspannt ist, muss hier langsam, aber intensiv massiert werden. Falls die Massage schmerzhaft ausfallen sollte, trösten Sie sich mit dem Gedanken, dass es rasch besser wird, wenn Sie sich dieser Stelle ab nun mehrmals täglich für wenige Minuten widmen.

Um die Hals und Nackenmuskulatur zu dehnen ziehen Sie Ihren Kopf mit der linken Hand in die maximale Seitenneigung. Der rechte Arm zieht in Richtung Boden. Als Variation dieser Übung zieht die rechte Hand den Kopf nicht seitlich, sondern schräg nach vorn. Achtung: Dehnen Sie den Hals-Nackenbereich stets mit äußerster Vorsicht!

Lockere Schultern

Wer dauerhaft unter Stressbelastung leidet, klagt in der Regel über Verspannungen im Schulterbereich. Verkürzung der Sehnen und Bänder in dieser Region können starke Auswirkungen auf den Reitersitz haben. Besonders Probleme bei der Zügelführung und mangelnde Durchlässigkeit der Bewegungsübertragung vom Becken zum Kopf lassen sich darauf zurückführen.

Um ihre Schulterheber- und Brustmuskulatur zu lockern und Verklebungen zu lösen, ziehen Sie den Muskelstrang der betreffenden Region mit Hilfe des Daumens gegen Zeigefinger und Mittelfinger hoch und lassen ihn dann „zurückschnalzen“. Auch wenn die zupfenden Berührungen anfangs noch sehr unangenehm sein können, werden Sie eine rasche Besserung erleben, wenn Sie sich dazu entschließen, diese täglich durchzuführen.

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Zupfmassagen helfen, den Schulterheber zu lock­ern und Verklebungen zu lösen. © PS

Durchlässigkeit im Brustwirbelbereich

Damit die Übertragung der Schwingungen des Pferdes vom Becken bis zum Kopf nicht in der Brustwirbelregion stecken bleiben, sollte auch dieser Bereich mobilisiert werden.

Halten Sie dazu den rechten Arm in Schulterhöhe nach vorn und winkeln ihn im Ellbogen leicht an. Das Handgelenk lassen Sie locker fallen und richten ihren Blick darauf. Führen Sie nun Ihren Arm so weit nach rechts und nach links, wie es ohne Kraftaufwand möglich ist. Der Blick folgt dem Handgelenk. Wiederholen Sie diese Übung zehn Mal und wechseln Sie danach den Arm.

Als Variation dieser Übung führen Sie den rechten Arm so weit nach links wie möglich. Verharren Sie in dieser Stellung mit dem Blick auf die Hand. Drehen Sie danach nur Ihren Kopf noch weiter nach links, bevor Arm und Kopf, mit Blick auf die Hand, in die Ausgangslage zurückkehren. Zehn Mal wiederholen, danach Arm wechseln.

In einer weiteren Übung sitzen Sie auf einem Stuhl und legen die rechte Hand auf die linke Schulter, sodass der Ellbogen auf der Brust liegt. Die linke Hand wird zwischen der Brust und dem rechten Arm zur rechten Schulter geführt (siehe Bild). Während die Hände auf den Schultern liegen bleiben, führen Sie die Ellbogen bis in die Waagrechte und darüber hinaus, senkrecht nach oben. Die Augen begleiten dabei die Ellbogen. Arbeiten Sie nicht mit Kraft gegen Widerstände, die Bewegungen sollen sich angenehm anfühlen. Die Übung zehn Mal wiederholen, danach die Arme wechseln.

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Damit die Schwingungen des Pferdes vom Becken bis zum Kopf des Reiters ungehindert fließen können, muss auch der Brustwirbelbereich locker sein. © PS

Elastische Wirbelsäule

Mit der nachfolgenden Übung mobilisieren Sie beide Seiten der Wirbelsäule. Dies wirkt sich besonders positiv bei seitlichen Verkrümmungen aus. Setzen Sie sich dazu mit der linken Gesäßhälfte an den rechten Rand eines Sessels oder Hockers. Während der linke Fuß im rechten Winkel steht, liegt der linke in Schrittstellung hinter dem Körperschwerpunkt. Fassen Sie nun mit der rechten Hand auf den Kopf und führen beugen ihn nach links und rechts – nur so weit, wie es problemlos geht. Sie spüren dabei, wie sich die rechte Gesäßhälfte hebt und senkt. Wiederholen Sie die Bewegung zehnmal, und wechseln Sie dann die Seite.

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Diese Übung hilft Ihnen den Nacken zu lockern, die Adduktoren der inneren Oberschenkel­muskulatur zu dehnen und mobilisiert beide Hälften der Wirbelsäule. © PS

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Ist die Kniebeugemuskulatur verkürzt, hat der Reiter Probleme sein Bein lang zu machen © PS

Richtig Treiben

Damit Ihr Bein auch beim Treiben lang und der Absatz tief bleiben kann, muss ihre Kniebeugemuskulatur entsprechend dehnfähig sein. Dies gelingt mit der folgenden Übung:Stellen Sie sich aufrecht vor einen Stuhl, auf dem Sie die Ferse Ihres linken Beines abgelegt haben. Ihre Hände halten Sie hinter dem Oberkörper verschränkt.

Ziehen sie nun Ihre Fußspitze so weit wie möglich an, während Sie Ihren Oberkörper und Ihr Becken langsam nach vorn neigen. Achten Sie dabei darauf, dass Sie nicht im Becken einknicken und keinen Rundrücken machen.


Flexibel im Becken

Damit der Reiter den Bewegungen des Pferdes geschmeidig folgen kann, muss er vor allem in der Beckenregion sehr flexibel sein. Steifheiten in diesem Bereich können schnell Schmerzen zur Folge haben. Verkürzte Adduktoren lassen sich durch eine Zupfmassage (ähnlich wie im Schulterbereich) lösen. Dazu sitzen Sie mit geöffneten Beinen auf einem Stuhl und tasten den gesamten Muskel-Sehnen-Strang von den Knien bis zum Schambein zupfend ab.

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Oft verhindern zu hohe Reflexe der Kniesehne, dass das Reiterbein locker aus der Hüfte fallen kann. eien zupfmassage in diesem Bereich hilft die Spannung zu reduzieren. © PS

Die Hüftgelenke lassen sich durch vielfältiges Gehen mobilisieren. Verspannungen in diesem Bereich verhindern, dass der Reiter sein Bein locker fallen lassen und im Absatz mitfedern kann. Bei dieser Übung gehen Sie jeweils zehn Schritte auf den Absätzen, Ballen, Außenkanten und Innenkanten des Fußes. Sie können dabei die Hände auf die Hüftgelenke legen und spüren, wie vielfältig sich die Gelenke bei den unterschiedlichen Gehweisen bewegen. Wiederholen Sie das gesamte Programm zwei bis drei Mal.

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Durch Fußexperimente lockern Sie Ihre Hüftgelenke. © PS

Die Kraft der positiven Gedanken

Ein essentieller Faktor für effektive Aufwärmarbeit ist die innere Einstellung: Wer das Warm-Up als wichtige Vorbereitung ansieht und mit Elan und Spaß an die Sache herangeht, verstärkt seine Wirkung wesentlich. Und auch für das Reiten gilt: Angenehme Gedanken und Gefühle wirken sich positiv auf die Lockerheit des Sitzes aus, Verbissenheit hingegen verspannt und macht unflexibel – sowohl im Körper, als auch im Geist.

Buchtipp

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© KOSMOS

Aufwärm- und Übungsprogramm
für Reiter

Eckart Meyners
KOSMOS Verlag
EAN: 9783440138496
208 Seiten, 29,99 Euro
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Alle hier vorgestellten Übungen stammen aus dem Buch „Aufwärm- und Übungsprogramm für Reiter“ von Eckart Meyners. Der Dozent für Sportpädagogik befasst sich seit 30 Jahren mit dem Thema Bewegungslehre beim Reiten. Meyners schult für die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), internationale Landestrainer, Ausbilder, Richter und Reiter und ist anerkannter Experte auf dem Gebiet der Bewegungslehre.

In seinem Buch stellt Meyners spezielle Aufwärm-, Fitness- und Übungsprogramme vor, mit denen Reiter von Kopf bis Fuß beweglicher werden. Auch die mentale Vorbereitung spielt beim Reiten eine zentrale Rolle.Hier findet jeder Reiter eine Vielzahl an Übungen für Psyche und Körper, die liegend, sitzend, laufend oder im Sattel ausgeführt werden. Das Gleichgewicht, die Geschmeidigkeit und das richtige Gefühl werden effektiv gesteigert. Mit Kurzprogrammen für die praktische Vorbereitung vor der Reitstunde, dem Ausritt oder einem Wettbewerb.