Ausbildung

Warm-up: So wärmen Sie Ihr Pferd richtig auf

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | 14.11.2014 - 10:16
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Besonders wichtig für die Aufwärmphase aber auch für das abschließende Cool Down: Reiten in Dehnungshaltung © www.slawik.com

Sattel drauf, rauf aufs Pferd und im Schweinsgalopp übers nächste Hindernis jagen, das hat mit einer pferdegerechten „Lösephase“ natürlich nichts zu tun. Schon in den ersten Unterrichtsstunden lernen ReitanfängerInnen, dass zu einer Reitstunde neben der eigentlichen Arbeitsphase vor allem auch die Lösephase gehört, also die Zeit, in der sich das Pferd aufwärmt. Es geht ihm dabei nicht viel anders als einem menschlichen Sportler: Leichte Bewegung vor der eigentlichen Belastung wärmt die Muskulatur auf, beugt Verletzungen vor und stimmt mental auf das Kommende ein. Das Lösen eines Pferdes erfüllt also sowohl physiologische als auch mentale Aspekte. Doch was genau passiert dabei?

  • Das Herz-Kreislauf-System kommt in Schwung.
  • Die Muskulatur wird besser durchblutet.
  • Die Produktion der Gelenkschmiere erhöht sich, die Gelenke werden „gängiger“, die Beweglichkeit nimmt zu.
  • Die Belastbarkeit des Bewegungsapparates sowie die Energiebereitstellung verbessern sich.
  • Die Reaktions- und Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskulatur steigt, das Pferd kann reiterliche besser und schneller umsetzen.
  • Nervöse Spannungszustände bauen sich ab, die psychische Leistungsbereitschaft steigt an, Ihr Pferd kann sich besser auf Sie und die gestellten Aufgaben konzentrieren.

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Eine kleine Schrittrunde im Gelände ist zum Aufwärmen besonders gut geeignet.   © www.slawik.com

Um diese wichtigen Veränderungen abrufen und von Ruhe auf Belastung hochfahren zu können, braucht der Organismus allerdings einige Zeit. Für den Aufbau einer Lösephase im Pferdesport heißt das: Zunächst sollte ein Pferd mindestens zehn, besser 20 Minuten am hingegebenen Zügel Schritt geritten, also erst allgemein aufgewärmt werden. In dieser Zeit kann es sich auf die veränderte körperliche Bewegung (regelmäßiges An- und Abspannen der Muskulatur, Wechsel zwischen Anwinkelung und Streckung der Gelenke), auf andere Gleichgewichtsverhältnisse (Reitergewicht auf dem Rücken) sowie andere psychische Anforderungen (Wechsel der Umgebung) einstellen. 20 Minuten Schritt in der Führmaschine ersetzen deshalb auch nicht alle Schrittrunden unterm Reiter!

Für jedes Pferd und jede Situation das passende Warm-up

Nach dem Schrittreiten folgt das spezielle Aufwärmen. Was hier gefragt ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

Dem Alter des Pferdes.
Zehn Minuten Schritt, 20 Minuten lockeres Lösen – damit hat ein junges, womöglich gerade erst angerittenes Pferd bereits genug. Die Lösephase ist in dieser Zeit der Arbeitsphase gleichzusetzen, denn auf dieser Entwicklungsstufe bedeutet allein das Gerittenwerden körperliche und mentale Arbeit für das Pferd. Schritt, Trab und Galopp auf beiden Händen, ein paar leichte Übergänge von einer in die nächst höhere oder niedrigere Gangart, einfache Hufschlagfiguren (ganze Bahn, Zirkel, Bahnwechsel u. ä.) reichen vollkommen aus. Für mehr reicht weder die Kraft noch die Konzentration eines jungen Pferdes. Ein altes Pferd dagegen benötigt vor dem Beginn der Arbeitsphase meist ein längeres allgemeines Aufwärmen, also eine längere Schrittphase. 20 Minuten sollten als Minimum gelten, damit die alten (möglicherweise leicht arthrotischen) Gelenke auf Touren kommen und keinen Schaden erleiden. Die Zeit des speziellen Aufwärmens kann dagegen im Allgemeinen etwas kürzer ausfallen und direkter in die Arbeitsphase übergehen.

Dem Trainingszustand.
Die Dauer des Aufwärmens und natürlich auch der gesamten Arbeit sollte bei einem untrainierten oder wenig trainierten Pferd kürzer sein als bei einem hochtrainierten – ganz einfach, weil bei einem Trainingsdefizit Puls, Atmung und Körpertemperatur schneller ansteigen und es auch schneller zur Ermüdung kommt. Durfte ihr Pferd also zum Beispiel wegen längerer Krankheit länger nicht geritten werden, müssen Sie beim wieder Antrainieren auch die Lösephase entsprechend anpassen und nicht einfach da wieder einsetzen, wo Sie Wochen zuvor aufgehört haben.

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Galopp in ruhigem Tempo bringt das Herz-Kreislauf-System in Schwung ohne zu überfordern.
© www.slawik.com

Dem Wetter.
Jeder Reiter kennt das: Wenn’s draußen knackig kalt ist, brauchen auch die Pferde eine längere Zeit des Lösens. Dies ist nicht nur ein subjektiver Eindruck, sondern hängt auch ganz objektiv damit zusammen, dass der Organismus länger benötigt, um sich zu erwärmen. Deshalb sollten Sie sich gerade jetzt in den Wintermonaten ausgiebig Zeit für das Warm-Up Ihres Pferdes nehmen.

Der Disziplin.
Dressurmäßige leichte Arbeit, das heißt kontrollierter Wechsel der Gangarten und Reiten einfacher Linienführungen, ist letztlich die Grundlage für jegliches Lösen. Wie es dann aber weitergeht, hängt letztlich davon ab, was vom Pferd verlangt werden soll. Geht es zum Ausreiten in den Wald, wird nach und nach das Tempo erhöht, und die Trab- und Galoppstrecken werden ausgedehnt.

Steht Dressurtraining auf dem Programm, sollten Sie sich der klassischen lösenden Übungen bedienen. Dazu gehören weiterhin die Gangartenwechsel (vor allem Trab- Galopp-Trab-Wechsel), häufige Handwechsel, das Reiten auf zunächst großen (große Tour, aus der Tour wechseln, einfache Schlangenlinien), dann kleiner werdenden gebogenen Linien (Schlangentouren durch die ganze Bahn, doppelte Schlangenlinien, Achten, durch die Tour wechseln, kleine Touren) sowie die Koordination und Konzentration fördernde Übungen wie Schenkelweichen, Viereck verkleinern und vergrößern, Vorhandwendungen und einfache Galoppwechsel.

Bereiten Sie sich auf eine Springstunde vor, gehört in den Bereich des speziellen Aufwärmens außerdem Distanzschulung über Galoppstangen, das Zulegen und Cantern im leichten Sitz sowie das Überwinden von Gymnastiksprüngen.

Um dem Pferd Abwechslung zu bieten, ist es durchaus sinnvoll, die speziellen Inhalte der Aufwärmprogramme auch mal abzuwechseln. Stangentreten, eine Runde durchs Gelände vor der Arbeit oder ein Aufgalopp im leichten Sitz tun auch einem Dressurpferd gut.

Dem Leistungsniveau.
Das allgemeine Aufwärmen, das Schrittreiten also, ist für alle Pferde gleich, egal, ob Freizeitpferd oder Grand-Prix-Kracher. Allerdings macht das Leistungsniveau eines Pferdes doch einen Unterschied, wenn es ans spezielle Aufwärmen, also an die eigentliche Lösephase geht. Ein weniger weit ausgebildetes Pferd kann mit mancher Lektion bzw. Anforderung bereits koordinativ und dann schnell auch psychisch überfordert sein, während ein topausgebildetes Pferd damit keinerlei Schwierigkeiten hat. So kann zum Beispiel das Reiten von Kurzkehrtwendungen zum Ende der Lösephase für ein darin nicht geübtes Pferd zu Verunsicherung und Verspannung führen, während ein erfahrenes M- oder S-Pferd über diese Lektion zu mehr Konzentration und zu einer Verbesserung seiner Koordination kommen kann. Bei einem erfahrenen Grand-Prix-Pferd können ein paar halbe Tritte oder sogar Piaffe-Tritte meist problemlos ins spezielle Lösen mit aufgenommen werden – ein jüngeres, unerfahrenes Pferd wäre damit überfordert und würde sich mehr verspannen als lösen. Grundsätzlich sollte die Lösephase eher fließend in die Arbeitsphase übergehen, sollten zum Ende Lektionen hinzugenommen werden, die den Beginn der Arbeitsphase markieren und hier dann geübt oder auch verfeinert werden.

Dem Temperament.
Heißer Ofen, souveräner Sportler oder gemütlicher Phlegmatiker – auch das Temperament eines Pferdes hat Einfluss auf Art und Dauer der Lösephase. Während der Souveräne im Allgemeinen gut mit einem rein physiologisch sinnvollen Aufwärmen klar kommt, müssen beim Hektiker oder Faulpelz die psychischen Komponenten verstärkt in den Fokus des Aufwärmens gerückt werden. Der heiße Ofen muss mental entspannen, um auch seinen Körper optimal loslassen zu können. Der Phlegmatiker muss „aufgeweckt“ werden, um den notwendigen Go und die notwendige Körperspannung zu erlangen. Unter Tempo reiten bringt beim heißen Ofen meist mehr als der Versuch, ihn auspowern zu wollen. Im Gegenzug sollte der Phlegmatiker bereits beim Lösen mehr nach vorn geschickt werden, frische Galoppaden, gern auch im leichten Sitz, können ihn auf die erforderliche körperliche und mentale Betriebstemperatur bringen.

Wichtig für den Aufbau der eigentlichen Lösephase: Sie muss hinsichtlich Intensität und koordinativer Anforderungen vom Leichten zum Schweren führen und darf das Pferd nicht ermüden, sondern soll seinen Körper lediglich aktivieren.

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Enges und tiefes Einstellen bringt das Pferd nicht nur vermehrt auf die Vorhand, es verhindert zudem sowohl eine mentale als auch eine physische Entspannung. © fotolia.com

Aufwärmen, nicht abkochen!

Absolut falsch, aber leider (vor allem auf Turnierplätzen) recht häufig zu sehen: das „Abkochen“ der Pferde. Wenn das Pferd schon beim Lösen schweißgebadet und völlig außer Atem ist, kann es in der folgenden Arbeitsphase bzw. der Prüfung nicht mehr die geforderte (Höchst-)Leistung bringen. Muskelermüdung und Atemprobleme führen zu einer Verkrampfung der Muskulatur, damit zu einer Verringerung der Durchblutung und zur Übersäuerung. Ein erschöpftes Pferd, von dem der Reiter nun noch Leistung verlangt, wird Fehler machen und sich auch gegen ihn und die Forderungen wehren.

Auch das Reiten von für das jeweilige Pferd zu anspruchsvollen Lektionen innerhalb der Lösephase oder das „Lösen“ in Zwangshaltung gehört zu den groben Reiterfehlern, weil sie die mentale Entspannung und damit die psychische Losgelassenheit verhindern.

Doch auch das genaue Gegenteil – ein zu monotones, immer gleichförmiges Lösen nach „Schema F“ – kann problematisch sein, da es ein Pferd nicht motiviert, sondern abstumpft. Lösen hat nichts mit „Runde um „Kilometer Fressen“ oder auseinandergefallenem „Lösen bis zur Auflösung“ zu tun. Es sollte das Pferd vielmehr systematisch aufwärmen, es über langsam ansteigende Anforderungen in eine notwendige positive Körperspannung versetzen und so auf die Arbeitsphase bzw. die Prüfung vorbereiten.

Vor allem für Turniersportler ist es auch wichtig, die Lösephase möglichst direkt vor die Arbeitsphase zu setzen. Der positive Effekt eines Aufwärmtrainings hält etwa fünf bis zehn Minuten an. Für die Turnierpraxis heißt das: Sollte eine Prüfung überraschend unterbrochen werden oder sollten Sie sich mit Ihrer Zeitplanung total vertan haben, bringt es nichts, nach dem Lösen einfach abzusteigen und kurz vor dem Start wieder aufs Pferd zu springen, nach dem Motto „abgeritten habe ich ja schon“. Nach rund 30 Minuten ist vom Aufwärmeffekt nämlich nicht mehr viel vorhanden, das Pferd müsste also neu vorbereitet werden.

Die beste Vorbereitung nutzt aber nichts, wenn ihr keine korrekte Arbeitsphase und keine vernünftige Entspannung (Cool Down) folgen. Überforderung, Druck und Ungerechtigkeit gegenüber dem Pferd können zerstören, was an positiver Einstimmung durch eine gute Aufwärmphase erreicht wurde. Das Gleiche gilt für das Weglassen (aus Zeitmangel oder Bequemlichkeit?) der abschließenden Entspannungsphase. Systematisch durchgeführt, zum Beispiel mit einem lockeren Austraben in Vorwärts-Abwärts-Dehnungshaltung und anschließenden Schrittrunden am hingegebenen Zügel, führt dies zum langsamen Abwärmen des Körpers, zu einer Rückkehr von Atmung, Blutdruck und Pulsfrequenz zu den Normalwerten und damit auch zu einer schnelleren Regeneration des Organismus. Damit am nächsten Tag die Arbeit umso leichter fällt.

Mehr über das richtige Aufwärmen für ReiterInnen lesen Sie in unserem Artikel "Aufgewärmt besser reiten".

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Dieser Artikel ist erstmals in Ausgabe 5/2011 erschienen. Pferderevue AbonnentInnen können ihn zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach in unserem E-Paper-Bereich einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!

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