Vom Trapez und anderen Muskeln

Worauf es bei der Gesunderhaltung des Pferderückens wirklich ankommt

Ein Artikel von Eva Schweiger | 29.12.2025 - 10:27
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Auf einen Muskel schauen wir bei der Einschätzung des Pferderückens meistens zuerst: den Musculus trapezius, Pars thoracica. So nennt sich der hintere Teil des Trapezmuskels, der das Schulterblatt am Brustkorb aufhängt. Sehen wollen wir seitlich hinter dem Widerrist gutes Muskelvolumen, genauso wie am Hals vor dem Schulterblatt – dort liegt der vordere Teil des Trapezmuskels. Lässt dieser Blick nur einen schwach ausgeprägten Muskel erkennen, vielleicht sogar eine deutliche Mulde, schrillen bei uns meistens die Alarmglocken. Und das ist gut so, denn, so Univ.-Prof. Dr. Theresia Licka, Spezialistin für Pferde-Orthopädie und -Sportmedizin an der Vetmeduni Wien, „solche Rücken nehmen leicht länger-
fristig Schaden – das ist klar.“

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Immer daran denken: Für gesunde Rückenmuskeln, die sich während des Trainings immer wieder an- und … © www.slawik.com

Quo vadis, Trapezius?

„Kilometer machen in natürlicher Halshaltung, das heißt mit langem Hals und dem Genick in etwa auf Widerristhöhe, ist das beste Training für den Trapezmuskel“, erklärt Dr. Licka. Warum? Weil der Muskel mit für die Bewegung der Vorderbeine sorgt, und wenn das Pferd mit viel Fleiß und langen Schritten vor-
wärtsgeht, hat er ordentlich zu tun. Ein gesundes Bewegungsmuster kann man schon im Schritt sehen: Am langen Zügel beobachtet man, wie weit die Vorderbeine des entspannt schreitenden Pferdes vorschwingen. Großer Raumgriff spricht für (und erzeugt auch) kräftige und gesund arbeitende Trapezmuskeln. Wird aber fast nur in starker Aufrichtung gearbeitet und z. B. an höheren Dressurlektionen gefeilt, bekommt der Trapezmuskel auf Dauer schnell zu wenig Trainingsreize und schwindet. „Für das Wachstum eines Muskels ist der Wechsel zwischen An- und Entspannung das Um und Auf. Wenn ein Pferd unter Stress steht oder immer in derselben Haltung trainiert wird, entspannen sich die Muskeln nicht ausreichend.“ Dann verändert sich automatisch auch die Bewegungsform des
Pferdes, und ein Teufelskreis kommt in Gang. Dr. Licka betont die wechselseitigen Zusammenhänge: „Fehlt der Trapezius einmal, ist das Bewegungsmuster bereits verändert, weil das Pferd damit umgehen muss. Mit dieser Art der Bewegung können die Pferde dann aber nur noch schwer gute Rückenmuskula-
tur aufbauen. Sie bringen zwar durchaus weiterhin ihre Leistung, aber nehmen dabei leicht Schaden.“

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… entspannen, und dadurch an Krat zulegen, sind häufige Veränderungen der Kopf-Hals-Haltung ganz wichtig. © www.slawik.com

Die gesunde Basisausstattung

Angespannte Bewegungsabläufe verhindern leider, so die Expertin, nicht nur das gesunde Wachstum des Trapezmuskels, sondern der Rückenmuskulatur allgemein. „Wenn die gesamte Rückenmuskulatur schwach ist, haben die Pferde eventuell oft schon Stress beim Anreiten gehabt, sich verspannt und
längerfristig Rückenschmerzen bekommen.“ Wie bricht man aus diesem Teufelskreis wieder aus? Mit Spaß! „Das Pferd muss sich bei der Arbeit wohlfühlen und Freude haben, und wenn dann die langen und lockeren Schritte kommen, ist das der beste Weg zur gesunden Muskelverwendung.“ Das gilt für Pferde
aller Disziplinen gleichermaßen – und gerade bei sehr spezialisiertem Training sollte die Ganzkörper-Basisarbeit nicht außen vor gelassen werden, rät die Sportmedizinerin

Seine Grundfitness und -körperbeherrschung mit der damit einhergehenden rundum harmonischen Bemuskelung erwirbt das Pferd im Idealfall ganz von selbst durch viel freie Bewegung schon im Fohlen- bis Zweijährigen-Alter. „Besonders wichtig ist das für sehr flexible Sportpferde mit spektakulärer Me-
chanik, denn je beweglicher der Körper ist, desto mehr Muskeln braucht er. Das ‚g’standene‘, eher feste Pferd hat schon in seinen Knochen, Bändern und Gelenkkapseln mehr Stabilität und ist dafür nicht ganz so stark auf die Muskeln angewiesen.“ Mit einer kräftigen, gesunden Muskel-Basisausstattung ist das junge Pferd dann bestens vorbereitet für alle Situationen, denen es in seinem Sport- oder Freizeitpferdeleben begegnet.

Abwechslung ist das beste Training

Im Verlauf der Ausbildung wird die Muskulatur im besten Fall gleichmäßig weiter trainiert – beim Freizeit- wie beim Sportpferd. Dass Sportpferde (zusätzlich) eine für ihr spezielles Einsatzgebiet ideal funktionierende Muskulatur entwickeln, ist natürlich. Beispiel: Während Dressurpferde starke, teils auch voluminöse Muskeln aus schnellen Muskelfasern an für ihre Lektionen wichtigen Körperstellen – Hinterhand, Hals, Bauch – zeigen, die ihnen explosive Kraft verleihen, wirken Distanzpferde meist hager, auf den ersten Blick vielleicht sogar schlecht bemuskelt. Aber für das große Durchhaltevermögen, das sie bringen müssen, sind die langsamen, auf Ausdauer spezialisierten Muskelfasern verantwortlich, die von Natur aus wenig Volumen haben. Dicke Muskelpakete würden aufgrund ihres Gewichts und der Wär-
meisolierung außerdem eher die Leistungsfähigkeit der Ausdauersportler verringern.

Möglichst viel Abwechslung im Training sowie vielfältige freie Bewegung tut trotzdem jedem Pferd gut, ob Allrounder oder Spezialist. „Ausgiebiger Koppel- und Weidegang, Ausreiten mit lockerer Halshaltung in allen Gangarten, unebene Böden – den Effekt davon sieht man einfach. All das kann wesentlich dazu beitragen, das Pferd langfristig gesund zu halten“ – so Dr. Lickas abschließende Empfehlung. 

Unsere Favoriten für den Rücken

Manche Übungen sind einfach unübertroffen, um den Pferderücken fit zu halten – und hier ist garantiert für jeden Geschmack eine passende dabei!

Erster Platz fürs Podest

Für viele Pferde wird das Podest, haben sie es einmal kennengelernt, zum Lieblings-Trainingsgerät. Ein Glück, denn das Aufsteigen kräftigt und mobilisiert die Rumpfträgermuskulatur, indem es eine starke Kontraktion und Dehnung der Muskulatur des Rumpfs, aber auch der Hinter- und Vorhand verlangt: perfektes schonendes Krafttraining. Zugleich schult die Arbeit mit Podest Gleichgewicht und Konzentration. Für alte Pferde, aber auch für Pferde mit Trageerschöpfung, die nicht (mehr) geritten
werden können, ist dieses Training ohne Reitergewicht und große Belastung des Bewegungsapparats Gold wert. Wichtig ist es, die Pferde mit beiden Vorderbeinen gleich oft aufsteigen zu lassen und darauf zu achten, dass die Hinterbeine nicht zu weit vom Podest entfernt stehen, damit der Rücken nicht durchhängt. Den Boost fürs Selbstbewusstsein, den der Überblick von so weit oben und die Bewältigung der Aufgabe bringen, sieht man den Pferden auch sofort an: Rückenstärkung gibt’s am Podest gleich im
doppelten Sinne.

Nichts geht über Übergänge

Im gerittenen Training, aber auch an der Longe sind kurze, kraftvolle Übergänge das Mittel der Wahl. Warum? Weil das Pferd aus einer bestimmten Haltung und Bewegungsform in einer Gangart (z. B. starke Seitwärtsbewegung des Rückens im Schritt) in eine andere (z. B. Auf-und-Ab-Bewegung plus Seitwärts-
rotation im Galopp) wechselt, und dabei die Kontraktion der gesamten Rumpfmuskulatur verändert. Diese Veränderung bei jedem Übergang ist höchst effektives Muskeltraining und viel wertvoller als lange in einer Gangart zu bleiben. Wer viele Übergänge in schneller Abfolge reitet, bei fortgeschrittenen Pferden auch aus dem Rückwärtstreten bzw. mit Überspringen einer Gangart, wird merken, wie der Rücken sich immer dauerhafter aufwölbt und die Energie im Pferd zunimmt. Besonders wirksam sind auch Übergänge aus einer Seitwärtsverschiebung heraus (z. B. aus dem Schenkelweichen mit geradem Pferd und durchaus mit etwas mehr Seitwärts als gewohnt).

Neugier auf kleine Hindernisse

Stangen und Cavaletti sowie kleine Sprünge sind nicht nur deshalb so förderlich, weil die Pferde – vorausgesetzt sie überwinden die Hindernisse biomechanisch korrekt – den Rücken automatisch
aufwölben. Schon beim Näherkommen nehmen die Pferde die Stangen in Visier, verändern ihre Kopf-Hals-Haltung und aktivieren somit die Rückenmuskulatur. Gerade diese Haltungsveränderung ist wertvoll und sollte unbedingt zugelassen werden. Denken Sie bei der nächsten Cavaletti-Einheit z. B. ans Reiten ins Wasser: Indem die Pferde dort neugierig den Kopf senken, den Hals aufwölben und die Beine heben, wird der gesamte Rumpf ideal mobilisiert.

Fit im Schritt

Schrittgehen geht immer: Ob reitbar oder nicht, ob Senior oder rohes Jungpferd, ob mit Arthrose, Sehnenproblemen, Magenweh oder Lungenerkrankungen – jedes Pferd kann Schritttraining machen. Die langsamste Gangart belastet das Skelett minimal und sorgt trotzdem für intensive Kontraktion und starke Relaxation der Rückenmuskeln. Diese bringt nicht nur Muskelwachstum, sondern auch verbesserte Durchblutung, denn jedes An- und Entspannen pumpt frisches Blut in die Muskulatur. Voraussetzung ist das fleißige Vorwärtsgehen in gutem Tempo, und das gelingt am einfachsten beim Ausreiten. Aber auch in der Reitbahn kann man die Vorzüge des Schritts und den Fleiß des Vierbeiners durch das Einbauen von Tempowechsel und Biegungen vergrößern.

Wie auf der Alm

Bergauf- und Bergab-Reiten ist bekanntermaßen perfektes Rückentraining. Weil Hangtraining für Sehnen und Gelenke schnell belastend werden kann, gilt hier aber unbedingt: mit Gefühl herangehen, aufs Pferd hören und Pausen einlegen, wenn es sie einfordert. Auch wenn oft das schnurgerade Bergauf- und Bergab-Reiten empfohlen wird, bringen gerade Zickzacklinien große Vorteile für den Rücken. Sind die linken und rechten Beine der Pferde nicht auf einer Höhe, aktiviert das die Rumpfmuskulatur kräftig. Wer nicht im hügeligen Gelände daheim ist, findet vielleicht einen Damm oder eine Böschung, die in langen Zickzacklinien erklommen werden kann. Und auch schräge Weideflächen, auf denen die Pferde beim Fressen schon schief stehen und sich stetig und langsam so weiterbewegen, sind für den Rücken unbezahlbar.

Karotten mag doch jeder

Es gibt ausgiebige (Ultraschall-)Studien darüber, wie schnell und effektiv die sogenannten „carrot stretches“, die Karottendehnungen, die Rückenmuskulatur stärken. Besonders förderlich für die Aufwölbung und Mobilisierung des Rückens sind z. B. die „Bergziege“ (das Pferd steht mit Vorder- und Hinterhufen eng beisammen und streckt Hals und Kopf soweit wie möglich vorwärts, um eine Karotte auf Bodenhöhe zu erreichen) oder auch das Kompliment. Seitliche Dehnungen mit Karotte in Sattellage-, Hüft- oder (fortgeschritten) Sprunggelenksnähe oder die Längsdehnung mit Karotte zwischen den Vorderbeinen tun Pferden mit Rückenschmerzen so gut, dass manche sie, einmal erlernt, schon von selbst anbieten. Ein wenig mehr Übung brauchen die sehr wirksamen „Crunches“, für die das Pferd lernt, seinen Schwerpunkt Richtung Hinterhand zu verschieben, das Becken zu kippen, sich aufzurichten und den Rücken aufzuwölben. Eine tolle Vorübung auch für korrektes Rückwärtsrichten oder Steigen!

Aus der Werkzeugkiste

Von Körperbandage über Hilfszügel und Stangengasse bis zu Wippe oder Balance Pad – es kann nie genug Abwechslung geben. Nicht nur dem Kopf, sondern auch dem Rücken der Pferde tut möglichst viel Diversität im Training gut. Dabei geht es nicht um die einzelnen Hilfsmittel, sondern um den Wechsel dazwischen, denn jedes fördert und fordert andere Muskeln. Führen Sie also immer wieder einmal etwas Neues ein, probieren Sie Verschiedenes aus, und behalten Sie im Kopf: Das eine Werkzeug, das gerade „ideal“ funktioniert, kann seine positive Wirkung nicht auf Dauer bringen. Es geht darum, möglichst viele verschiedene Trainingsreize zu setzen, und so ein rundum möglichst gleichmäßig gut bemuskeltes Pferd zu erhalten – denn das bleibt am längsten gesund!