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Gerade in der Vielseitigkeit kommt es immer wieder zu schweren Stürzen von Mensch und Pferd - aber auch Hobbyreiter sind vor Unfällen nicht gefeit. © Herny Bucklow

Airbagwesten als mögliches Sicherheitsplus

Ein Artikel von Pamela Sladky | 18.11.2015 - 11:07
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Gerade in der Vielseitigkeit kommt es immer wieder zu schweren Stürzen von Mensch und Pferd - aber auch Hobbyreiter sind vor Unfällen nicht gefeit. © Herny Bucklow

Reiten ist ein Risikosport. Die Gefahr sich bei einem Sturz vom geliebten Vierbeiner zu verletzten – mitunter sogar schwer – ist bei allem Optimismus nicht von der Hand zu weisen. Dank moderner Technologie können sich Reiter heute jedoch deutlich besser schützen als noch vor 30 Jahren. Eine der jüngeren Errungenschaften in punkto Reitersicherheit ist die Airbagweste.

Ihr Prinzip ist so einfach wie genial. Im Normalzustand mutet das High-Tech-Teil wie eine simple Reitweste an, doch in ihrem Inneren verbirgt sich ein ausgeklügeltes System aus Luftkammern, Schläuchen und einer Druckluftpatrone. Im Fall des Falles wird ein „Zündmechanismus“ ausgelöst wodurch sich die Luftkammern blitzschnell aufblasen und den Aufprall abdämpfen. Anders als herkömmliche Sicherheitswesten bieten manche der Luftkissen-Protektoren auch zusätzliche Polster im Nacken und Hüftbereich – ein Extraschutz, der gegenüber festen Sicherheitswesten einen erheblichen Pluspunkt bietet.

Tatsächlich scheinen die Luftkissen-Schutzwesten einen besseren Schutz bei Stürzen vom bzw. mit dem Pferd zu bieten als herkömmliche Modelle. Das zeigt eine jüngst durchgeführte Studie, die vom britischen Verein für Vielseitigkeitsreiten (British Eventing) in Auftrag gegeben worden war. Sie untersuchte, wie sich das Tragen eines Airbagmodells auswirkt, wenn der Reiter beim Sturz unter seinem Pferd zu liegen kommt.

Gefährliche "rotational falls"

Die sogenannten „rotational falls“, also Stürze, bei denen sich Pferd und Reiter miteinander überschlagen, sind im Reitsport besonders gefürchtet. Sie bergen nicht nur die Gefahr, dass sich der Reiter beim Aufschlagen auf dem Boden verletzt, sondern auch, dass das Pferd auf den Reiter stürzt - was im Großteil der Fälle schwere Verletzungen nach sich zieht und manchmal sogar tödlich endet.

Dieses Horrorszenario wurde jüngst in eigens durchgeführten Tests an der Universität in Bristol mithilfe eines zuvor krankheitsbedingt eingeschläferten Pferdes und eines Crash Test Dummy nachgestellt. Das ernüchternde Ergebnis: Mit einer herkömmlichen Weste kam es in 94 Prozent der Fälle zu schwerwiegenden Verletzungen im Bereich des Brustkorbes, mit Luftkissenweste in 81 Prozent. Das sind 13 Prozent weniger – aber immer noch viel zu viel.

Angesichts dieser Erkenntnis kam die Studie zu dem Schluss, dass Airbagwesten schwere Verletzungen unter gewissen Umständen vielleicht eher verhindern könnten als herkömmliche Modelle. Nichtsdestotrotz sei die Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften oder tödlichen Verletzung sehr hoch, für den Fall, dass ein Pferd direkt auf seinen Reiter stürzt, so das Fazit von British Eventing.

Unterschiedliche Ansichten

BE bewertet den zusätzlichen Schutz, den das Tragen eines Luftkissenprotektors im Falles eines „rotational falls“ bietet damit gerade einmal als „geringfügig“. Bei geänderten Bedingungen hinsichtlich Alter und Größe des Reiters, Größe und Gewicht des Pferdes bzw. Fallhöhe könnte der Unterschied sogar noch geringer ausfallen. „Es mag Fälle geben, wo Airbagwesten überhaupt keinen nennenwerten Schutz bieten“, gab ein Sprecher von British Eventing zu bedenken.

Ganz anders sehen das die Hersteller und Händler von Airbagwesten. Sie bewerten die Ergebnisse als klare Bestätigung für die Sicherheit ihrer Produkte. Wenn das Risiko, eine schwere Verletzung zu erleiden, mit einer Airbagweste um 13 Prozent verringert werden könne, sei das sehr weit mehr als nur geringfügig, so die einhellige Meinung. „In der Autoindustrie würde man bei einer 13-prozentigen Riskio-Reduktionsrate von einem bedeutenden Schritt in die richtige Richtung sprechen“, ist der Geschäftsführer des Airbagwestenherstellers Point Two, Lee Middleton, überzeugt.

Dass sowohl herkömmliche Westen auch Luftkissenprotektoren an ihre Grenzen gerieten, wenn das Pferd mit seinem vollen Gewicht auf den Reiter stürze, sei ja nicht gerade neu, meinte Rachel Ricci, Geschäftführerin bei Hit-air UK im Gespräch mit Horse and Country zu. „Nichtsdestotrotz ist eine 13-prozentige Reduzierung des Risikos, sich eine schwerwiegende Verletzung zuzuziehen, unter diesen extremen Umständen, wenn es darum geht, was den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht, nicht so einfach von der Hand zu weisen. Alleine schon deshalb, weil sich die Effektivität der Airbagweste erhöht, wenn der Reiter nur zum Teil unter sein Pferd gerät“, ist Ricci überzeugt.

Ein Gesichtspunkt, der in der Studie nämlich gar nicht berücksichtigt wurde, ist die Schutzwirkung, die eine Airbagweste beim bloßen Aufschlagen auf den Boden bietet. „Die Schutzwesten wurden ja nicht nur für Überschläge mit dem Pferd konstruiert”, gibt Charlie Morris vom britischen Reitartikelhändler Treehouse zu bedenken. Auf diesem Gebiet besteht also noch reichlich Forschungsbedarf.

Quelle