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Was zum Kukuk? Abreite-Video bringt Springsport in Erklärungsnot

Ein Artikel von Pamela Sladky | 12.11.2025 - 19:12

Lange Zeit blieb der Springsport in der Pferdewohl-Diskussion mehrheitlich unbehelligt. Doch die jüngsten Debatten um die Neureglementierung des Umgangs mit Blut am Springpferd haben den Fokus in den vergangenen Wochen ins Lager der Springreiter verlegt. Und nun gießt ausgerechnet der aktuelle Olympiasieger weiter Öl in ein Feuer, das sich zu einem Flächenbrand auszuweiten droht.
 

Korrekturreiten auf dem Abreiteplatz?

Ein auf TikTok veröffentlichtes Video zeigt Christian Kukuk beim Abreiten anlässlich des Weltcupturniers in Verona (ITA). Unter dem Sattel: die elfjährige KWPN-Stute Just Be Gentle, eines der aktuellen Spitzenpferde des Einzel-Olympiasiegerin von Paris 2024.

Kukuk reitet sie ausschließlich auf Schlaufzügel, normale Zügel sind in dieser Sequenz nicht in die Trense eingeschnallt. Laut geltendem FEI-Reglement ein Verstoß, das Schlaufzügel in der Vorbereitung zwar erlaubt, gemäß Artikel 257.1.4 der "Jumping rules" jedoch "müssen die Zügel am Gebiss oder direkt am Zaum befestigt sein. Es dürfen höchstens zwei Zügelpaare verwendet werden. Wenn zwei Zügelpaare verwendet werden, muss ein Paar am Gebiss oder direkt an der Trense befestigt sein. Gags und Hackamores sind erlaubt." 

Beim Durchparieren in den Trab zeigt Just Be Gentle obendrein eine deutliche Taktunreinheit in der Vorhand. Offizielle Beanstandungen (auf internationalen Turnieren muss stets ein Offizieller das Geschehen auf dem Abreiteplatz im Blick haben) scheint es nicht gegeben zu haben: Die Stute startet an drei aufeinanderfolgenden Tagen und belegt im Weltcup-Grand Prix am Sonntag sogar Rang drei.

„Nicht akzeptabel“

Auf Nachfrage von Claudia Sanders, Herausgeberin der Dressur Studien und Initiatorin der Plattform Fair zum Pferd, erklärt FN-Präsident Martin Richenhagen:

„Wir finden das nicht akzeptabel. Mit dem Reiter, Otto Becker und Ludger Beerbaum sind wir dazu im Gespräch. Zudem ist das Reiten auf blankem Schlaufzügel nicht durch die Richtlinien gedeckt.“

Kukuk selbst äußerte sich am Mittwoch gegenüber Spring-Reiter.de: „Nach Betrachten des kurzen Videos nehme ich die Kritik ernst. Mir ist es wichtig zu sagen, dass es keinerlei Beanstandungen von FEI- Offiziellen vor Ort hinsichtlich des Abreitens oder an der Ausrüstung des Pferdes gab. Die Stute wurde beim Vet-Check von Turniertierärzten zum Wettkampf anstandslos zugelassen und auch nach dem Turnier zeigte sie keinerlei Auffälligkeiten beim wöchentlichen Tierarzttermin zuhause.“

Auf unsere Nachfrage bei der FEI hieß es am Donnerstag: "Die FEI ist sich des im Umlauf befindlichen Videos bewusst und steht in Kontakt mit den zuständigen Offiziellen der Veranstaltung. Zu diesem Zeitpunkt sind noch nicht alle offiziellen Berichte eingegangen, und daher wurde noch keine formelle Überprüfung eingeleitet. Es wäre daher verfrüht, sich zu diesem Zeitpunkt weitergehend zu äußern."


„Hippologische Bankrotterklärung“

Deutliche Worte zu den Szenen, die in dem 35 Sekunden andauernden Video zu sehen sind, findet hingegen Prof. Dr. Robert Stodulka, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Veterinärmedizin, Reiten und Pferdesport & Tierschutz.

Im Gespräch mit der Pferderevue sagt er: „Was man in diesem Video sieht, ist aus meiner Sicht die nächste hippologische Bankrotterklärung des Reitsportes.“

Er kritisiert vor allem die Verwendung des blanken, straff angenommenen Schlaufzügels ohne normale Zügelverbindung zum Trensengebiss:

„Das Pferd wird mechanisch komprimiert. Diese Art der Einwirkung entspricht in keiner Weise einer tierschutzgerechten oder klassischen Reitweise und geht auch am eigentlichen Sinn des Schlaufzügels, der rahmengebend und begrenzend, jedoch niemals formgebend, respektive aufzwingend sein darf, vorbei. Das Tier hat keine Chance, in eine natürliche Anlehnung und in eine Losgelassenheit zu kommen – es wird in eine Position gezwungen, die nichts mit korrektem Reiten zu tun hat.“

Für Stodulka ist der Fall symptomatisch für ein strukturelles Problem im Spitzensport: „Wenn sich Olympiareiter erlauben, so auf einem Abreiteplatz in der Öffentlichkeit zu reiten, möchte ich gar nicht wissen, wie zu Hause gearbeitet wird. Offenbar ist man sich der eigenen Vorbildfunktion überhaupt nicht bewusst.“ Korrekturen können in der Reiterei immer wieder einmal vonnöten sein. „Aber doch bitte nicht auf einem Turnier. Und schon gar nicht auf blanken Schlaufzügel! Das Pferd hat immer einen Grund, wenn es Widerstände zeigt. Der Reiter muss die Ursache für Widerstände immer bei sich suchen und nicht am Pferd diese durch den Einsatz von Gewalt oder Gerätschaften zu lösen versuchen!“

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© www.slawik.com

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Reitsport in Gefahr

Der Veterinär warnt vor einem massiven Imageschaden für den gesamten Pferdesport: „Genau solche Ausschnitte sind es, die dem gesamten Reitsport, auch dem Freizeitsport, dramatisch schaden. Wir haben ohnehin eine wachsende ethische Debatte darüber, ob es überhaupt noch vertretbar ist, Pferde sportlich zu nutzen. Solche Szenen sind ein Steilpass für alle Kritiker. Uns allen sollte bewusst sein: In dem Moment, in dem der Sport in den Augen der Öffentlichkeit seine Daseinsberechtigung verliert, wird es auch für die Freizeitreiter schwierig.“

Stodulka fordert klare Konsequenzen seitens der Verbände: „Wenn ein Steward oder Richter so etwas sieht, muss es Konsequenzen geben – egal, wie prominent der Name ist. Das Wohl des Pferdes steht über allem, schreibt die FEI in ihrer Präambel. Dann muss sie auch entsprechende Taten folgen lassen.“

Der Fall Kukuk zeigt einmal mehr, wie dünn das Eis geworden ist, auf dem sich der Pferdesport bewegt. Zwischen Leistungsanspruch und Tierschutz steht man vor einer echten Bewährungsprobe – und die Reaktionen lassen erkennen: Der Druck, den schönen Worten rund um Pferdewohl auch entsprechende Taten folgen zu lassen, wächst.

Nachtrag
Artikel am 13.11.2025, 17:12 Uhr ergänzt durch das Statement der FEI. In einer früheren Version des Artikels hatten wir angegeben, die Verwendung des Schlaufzügels, wie im Video zu sehen, sei laut FEI-Reglement nicht verboten. Diese Aussage haben wir inzwischen korrigiert und den korrekten Wortlaut des Reglements im Beitrag ergänzt.